Kohlenstaub (German Edition)
Ihnen
einen Kaffee anbieten?«, fragte mich Schwester Tabea.
»Das wäre schön«,
erwiderte ich. Dann wandte ich mich an Hanning: »Ist Ihr Herr Vater denn nicht
bereits tot?«
»Vor einigen
Monaten gestorben. Allerdings lebten meine Eltern schon lange getrennt. Im
Krieg haben sie sich auseinandergelebt. Mein Vater hat sich in Süddeutschland
niedergelassen, in Tübingen. Dort war er an der Universität beschäftigt.«
»Also waren Ihre
Eltern geschieden?«, erkundigte ich mich.
»Mein Vater hätte
sich scheiden lassen, doch meine Mutter war damit nicht einverstanden. Als der
Ruf an die Universität Tübingen kam, verließ er das Ruhrgebiet. Meine Mutter
blieb in Dortmund. Über meinen jetzt verstorbenen Bruder kann ich Ihnen deshalb
leider nur wenig erzählen. Wir standen uns nicht sehr nahe.«
»Aber vielleicht
haben Sie Erinnerungen an früher?«
»Früher war mein
Bruder ein aufgeschlossener, fröhlicher Mensch. In unserer Familie wurde viel
gelacht. Doch dann kam der Krieg. Seit Hans als Flakhelfer gedient hatte, war
er nicht mehr derselbe …«
»Inwiefern?«
»Er wirkte still
und in sich gekehrt. Fast schon grüblerisch. Er wurde sehr gläubig und hat dann
ja auch Theologie studiert.«
Ich nickte.
»Wäre er
katholisch gewesen, hätte es ihn wohl in ein Kloster verschlagen. So wurde er
Pastor.«
»Mein Sohn ist
Pastor. Jeden Sonntag predigt er in der Kirche«, nahm die alte Frau Hanning das
Stichwort auf.
Ich wandte mich
ihr zu. »Frau Hanning, Sie wissen, was mit Ihrem Sohn passiert ist?«
Auf ihrem Gesicht
zeigte sich jäh die Erkenntnis. »Er ist tot«, murmelte sie, und ich meinte,
einen Anflug von Trauer in ihrer Stimme zu hören.
»Wissen Sie, wie
es passiert ist?«, nutzte ich die Gunst der Stunde.
»Sie sind gekommen
und haben ihn abgeholt.«
»Und vorher? Was
war vorher? Waren Sie bei ihm?«
Sie schaute zu
Boden und schwieg.
»Frau Hanning?
Können Sie sich erinnern, was mit Ihrem Sohn passiert ist?«
»Mein Sohn ist
Pastor. Jeden Sonntag predigt er in der Kirche«, wiederholte die alte Dame, und
an ihrem abwesenden Blick konnte ich erkennen, dass sie wieder in das Reich des
gnädigen Vergessens zurückgekehrt war.
»Ja, Mutter«,
sagte Herr Hanning mit übertrieben geduldiger Stimme und tätschelte ihren
Oberarm. »Dein Sohn ist Pastor. Du kannst stolz auf ihn sein.«
»Ich habe übrigens
einen weiteren Bruder«, fuhr er fort. »Er kam unehelich zur Welt. Seine Mutter
war die Gefährtin meines Vaters. Sie pflegte ihn bis zu seinem Tod. Die beiden
lebten weit über zwanzig Jahre zusammen.«
»Ach ja?«
»Meiner Mutter
habe ich ihre starrsinnige Haltung nicht verziehen. Sie hätte meinen Vater
freigeben müssen. Dann wäre mein Halbbruder in einer legalen Verbindung
aufgewachsen.«
Ich nahm mein
Gegenüber in Augenschein: korrekter Scheitel, gerade sitzende Krawatte. Dann
blickte ich in meine Unterlagen. »Sie sind Jurist?«, vergewisserte ich mich.
Hanning nickte.
»Ich arbeite am Landgericht. Mein Bruder sah die Angelegenheit mit unseren
Eltern übrigens anders. Er fand, die Ehe sei unauflöslich und hat meiner Mutter
den Rücken gestärkt. Aber so musste er wohl denken, als Pastor.«
»Vielleicht hat er
deshalb nie geheiratet!«, rutschte es mir heraus. »Wegen seiner hohen
moralischen Ansprüche.«
»Möglich.«
In diesem Moment
betrat Schwester Tabea den Raum, in der Hand ein Tablett mit einer Kaffeekanne
und vier Tassen. Sie stellte das Tablett ab und sagte: »Der war mit seiner Gemeinde
verheiratet.«
Auf dem Heimweg
betrat ich die Trinkhalle in der Sudermannstraße. »Trudi?«, rief ich in den
Verkaufsraum hinein.
»Ja. Fräulein
Pastor?«
»Pastor Hanning
hat am Abend vor seinem Tod bei Ihnen Bier geholt. Haben Sie gesagt. Wissen
Sie, wie spät es da war?«
»Ach Gottchen. Ich
schau doch nicht auf die Uhr.«
Ȇberlegen Sie.
Vielleicht sind Sie die Letzte, die ihn lebend gesehen hat!«
»Also, Hanning
kaufte drei Bier, wie immer. Zwei trank er anne Bude, das andere nahm er mit.
Konnte ja nich so lang bleiben, wegen der Mutter.«
»Um welche Zeit?«,
beharrte ich.
»Vielleicht gegen
zehn. Vielleicht auch später. War viel los anne Bude.«
»Wann schließen
Sie?«
»Unter der Woche
um zehn. Freitags erst inne Nacht. Da kommen sie mit ihren Lohntüten. Samstags
je nachdem.«
»Und letzten
Samstag?«
Trudi verdrehte
genervt die Augen. »Wozu wollen Sie das alles wissen, Fräulein Pastor? Sie
fragen ja schon wie die Polizei.«
»War Jankewicz am
Samstag
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