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Kohlenstaub (German Edition)

Kohlenstaub (German Edition)

Titel: Kohlenstaub (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne-Kathrin Koppetsch
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Jankewicz,
die mit Schwester Käthe vor dem Haus gewartet hatte, kletterte auf den Rücksitz
von Kruses NSU Prinz. Noch während die Diakonisse
ihren langen Rock auf dem Beifahrersitz sortierte, startete mein Kollege den
Motor.
    Rabenau und ich
gingen zu Fuß. Der Presbyter legte ein derart flottes Tempo vor, dass ich nur
mit Mühe mithalten konnte. Kurz nach den anderen trafen wir am Gemeindehaus
ein.
    »In dieser
Schublade müsste der Schlüssel sein«, murmelte Kruse und durchsuchte den
Schreibtisch im Gemeindebüro. Doch dort fanden sich nur Stifte neben einem
Notizblock und Hustenbonbons.
    »Wo ist denn
Idschdi?«, fragte ich.
    »Idschdi?« Mein
Kollege zog die Brauen hoch. »Schwester Gerlach, unser Küster hat Urlaub. Haben
Sie das vergessen?«
    Ich war mir
sicher, dass er selbst der Vergessliche war. Er hatte mich wieder einmal nicht
informiert.
    »Vielleicht im
unteren Fach?«, regte ich an, ohne auf Kruses Einwurf einzugehen.
    Schließlich fand
Schwester Käthe den Schlüsselbund auf der Arbeitsplatte hinter der Schreibmaschine.
»Leichtsinn, ihn so offen liegen zu lassen!«, schimpfte sie.
    Draußen hatte sich
der Himmel verdüstert. Die kurze Strecke zwischen Gemeindehaus und Hannings
Pfarrhaus kam mir vor wie eine Odyssee.
    »Wo lebt Hannings
Mutter jetzt eigentlich?«, fragte ich, um das Unbehagen zu vertreiben.
    »Im
Fritz-Heuner-Heim.« Als die Diakonisse meinen fragenden Blick sah, fügte sie
hinzu: »Ein kirchliches Altenheim, benannt nach Heuner. Dem Superintendenten
während der Nazizeit.«
    »Ich warte
draußen«, kündigte Frau Jankewicz an.
    »Dann bleibe ich
auch hier«, sagte Schwester Käthe. Am liebsten hätte ich ihnen Gesellschaft
geleistet, um dem Furchtbaren zu entkommen, das wir da drinnen vielleicht
entdecken würden.
    Doch wie unter
Zwang betrat ich das dunkle Treppenhaus. Ein säuerlicher Geruch stieg mir in
die Nase, ein Gestank nach Exkrementen und Verwesung, so wie damals in der
Zeit, die ich zu vergessen suchte. War der Geruch real oder spielte mir die
Erinnerung einen Streich?
    Ich hielt den Atem
an. Würden wir gleich die nächste Leiche finden?
    »Manni! Manni?«,
rief Rabenau durch das Treppenhaus, doch nur das Echo hallte von den Wänden
wider.
    »Der Heizkeller«,
sagte Rabenau. Kruse nickte. Hinter den beiden stieg ich die Steintreppe hinab.
Ein abgegriffenes Geländer bot trügerische Sicherheit.
    »Verfl… wo ist der
Lichtschalter?«, hörte ich Rabenau fluchen. Eine einsame Glühbirne an der Decke
leuchtete auf.
    In den Ecken blieb
es dunkel.
    »Abgeschlossen!«
Das war Kruse. Er probierte verschiedene Schlüssel aus.
    Meine Nerven waren
zum Zerreißen gespannt. Gott, bitte mach, dass er nicht tot da drin liegt,
betete ich still.
    Endlich fand mein
Kollege das passende Schließwerkzeug und sperrte auf. Kohlenstaub schlug uns
entgegen. Durch ein kleines vergittertes Fenster fiel etwas Tageslicht, das den
Raum nicht erhellte. Kruse betätigte den Lichtschalter. Wieder flammte eine
nackte Birne auf. Jetzt sahen wir, dass der Steinboden relativ sauber war, auch
wenn sich Staub darauf abgesetzt hatte. Die Kohlen lagen aufgehäuft in einer
Ecke des Raumes hinter einem Bretterverschlag. Im Heizkessel fand sich noch
kalte Asche.
    Keine Spur von
Manni.
    »Hier ist
niemand«, stellte Rabenau fest.
    Mich schauderte,
als ich mir vorstellte, was hier passiert war. Ein Mann war ums Leben gekommen.
Und irgendjemand hatte den reglosen Körper die Treppe hinaufbefördert und dabei
die verdächtigen Spuren hinterlassen.
    Ich wandte mich ab
und verließ das Kellergeschoss.
    Kruse und Rabenau
folgten mir.
    An der Wohnungstür
fand Kruse den passenden Schlüssel schneller. Wieder hielt ich den Atem an, als
wir den Flur mit dem abgeschabten Linoleumboden betraten.
    Rechter Hand im
Wohnzimmer hatte der Leichnam von Hanning gelegen. Diese Tür war geschlossen.
    Dafür war der Weg
in die Küche frei.
    »Da drin sind sie
gestorben«, sagte Rabenau in dem Augenblick, als ich über die Schwelle schritt.
»Die Lewinskys. 1942, ich war damals noch ein Bub.«
    Diffuses Licht fiel
durch das kleine Fenster auf die Spüle, deren Email stumpf geworden war.
    »Darauf bezog sich
Trudi also neulich.«
    Es war dumpf und
stickig im Raum.
    »Woran sind sie
gestorben?«, fragte ich, obwohl ich mir nicht sicher war, ob ich das wirklich
wissen wollte.
    »Selbstmord«,
beantwortete Kruse die Frage.
    »Wie schrecklich.«
    »Die haben sich
umgebracht, bevor die Gestapo sie in die Finger bekam und ins Gas schicken

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