Kokoschanskys Freitag
führt der vor Kraft strotzende Vierbeiner freudig den Befehl aus. Das Hölzchen zwischen die Zähne geklemmt, läuft er hechelnd mit heraus hängender Zunge zu seinem Frauchen. Natürlich neben Streicheleinheiten auch ein Leckerli erwartend, bevor der Zweig wieder in hohem Bogen weg geschleudert wird. Plötzlich stutzt der Hund, bleibt abrupt und wie ange wurzelt stehen, das Stöckchen fällt ihm achtlos aus dem Maul, seine Nacke nhaare sträuben sich, er knurrt und geht dann in lautstarkes Bellen über.
„Platon! Aus! Platon, was hast du denn? Verrückter Hund! Aus!“
Die Frau läuft zu ihm, doch Platon will und will sich nicht beruhigen. Trotz der Rufe seiner Herrin und manchem Klaps schlägt er weiter an, rührt sich nicht von der Stelle. Instinktiv spürt der kluge Kerl, etwas ist hier nicht in Ordnung. Dann sieht auch sie, was ihren Hund derart aus der Fassung bringt und reißt erschrocken die Hände vor den Mund.
***
„Hat sich doch gelohnt, den kleinen Ausflug nach Hollabrunn zu riskieren, oder?“ Kokoschansky parkt den Wagen in der Neilreichgasse ein.
„Ja, hätte ich nie geglaubt“, muss Lena zugeben, „das alte Ehepaar war tatsächlich ein Glückstreffer. Anfänglich waren sie zwar ein wenig versch lossen, doch dann sprudelte es nur so aus ihnen heraus. Und wie sie ihrem Nachbarn am Telefon die Adresse der Tochter herausgelockt haben, war zwar fies, aber sehr hilfreich. Ich sehe immer noch die Alte vor mir, wie sie mir zuzwinkert.“ Lena löst das Schloss ihres Sicherheitsgurtes, öffnet die Beifahrertür und steigt aus.
„Tja, so ein Polizeiausweis“, grinst Kokoschansky, „ist immer noch der beste Türöffner. Kannst du mir nicht einen schwarz besorgen?“
„Sonst noch was?“ Lena tippt sich an die Stirn und mustert den grauen, abstoßend wirkenden Sozialwohnbau. „Auch nicht das Gelbe vom Ei. Hier möchte ich nicht tot über dem Zaun hängen.“
„K ann uns doch egal sein. Zum Glück müssen wir hier nicht wohnen. Hoffen wir, dass diese Irmi zu Hause ist.“
Der Bau stammt aus den Dreißigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Architektur ist typisch für eine Arbeitersiedlung. Kokoschansky öffnet ein schweres, schmiedeeisernes Gittertor und die beiden betreten einen Hof, in dem ein paar Buben Fußball spielen.
„Immerhin hast du einen beträchtlichen Informationsvorsprung gegenüber Petranko“, meint Lena. „Ich glaube nicht, dass ihm das bereits bekannt ist.“
„Ich kann es mir auch nicht vorstellen.“ Kokoschansky sieht sich su chend um. „So viel Zeit ist noch nicht vergangen und wie der momentan drauf ist, denke ich, ist es ihm eher egal bei seiner Überforderung. Allerdings fällt mir jetzt wieder ein Satz von ihm ein, der plötzlich eine ganz andere Bedeutung erhält und mich nun sehr hellhörig macht: ‘Manchmal bedeutet zu viel Wissen Kopfschmerzen.’ Hätte er diese Worte nicht so beiläufig auffällig fallen lassen, wäre ich nie auf die Idee gekommen, mich da reinzuhängen. Da waren eben zwei Meisterschützen aneinandergeraten und einer hatte die Arschkarte gezogen. Doch, wenn ich mich recht erinnere, hatte Petranko bei diesem Satz so einen merkwürdigen Unterton in der Stimme. Danach ist er ganz schnell auf meinen Knatsch mit den Albanern ausgewichen.“
„Schwer zu sagen, ob er nicht doch mehr weiß. Vielleicht wollte er dir durch die Blume mitteilen, dass er im Bilde ist, aber nicht mehr ausplaude rn darf und du dich raushalten sollst. Wir wissen doch, wie schnell Ermittlung en von oben abgedreht werden können und alle in unserem Verein sehr vorsichtig geworden sind. Komm, gehen wir endlich.“
„Ja, ja! Wie heißt diese Irmi jetzt? Ich hab’s vergessen. Jedenfalls nicht mehr Erdenberger.“
Lena sieht in ihrem Notizbuch nach. „Irmgard Kubela, sie führt jetzt wieder ihren Mädchennamen.“
„Wo müssen wir hin?“
„Hier sind wir schon. Viertes Stockwerk. Leider ohne Lift. Auch keine Gegensprechanlage. So können wir unangemeldet hereinschneien.“
„Falls wir nicht längst durch unsere Hollabrunner Plaudertaschen von ihrer Mutter angekündigt worden sind.“
Im dritten Stockwerk bleibt Kokoschansky am Treppenabsatz keuchend stehen.
„Was ist?“, fragt Lena ihren etwas um Luft ringenden Lebensgefährten.
„Nichts. Nur schöne Grüße von Marlboro.“
„Hm, vielleicht sollten wir uns gemeinsam die Qualmerei abgewöhnen?“
„Jetzt sofort?“
„Blödmann ...“
Endlich geschafft. Für einen Augenblick hält
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