Kokoschanskys Freitag
„so einen Schwengel mit sich herumträgt. Dann wollen wir uns mal die Naziärsche näher ansehen.“
„Hört auf! Bitte!“
Die drei zerren an ihren Fesseln, aber es ist zwecklos. Rocco beugt sich ti efer zu ihnen hinunter.
„Habe ich jetzt gar Bitte gehört? Lauter! Durch die Trommelei bin ich etwas schwerhörig.“
„Bitte, lasst uns gehen ...“
„Damit ihr wieder schwarzen Frauen anbaggern könnt?“ SuzyQ steht vor ihnen und sieht sie mit funkelnden Augen an. Blitzschnell hagelt es einen Satz Ohrfeigen bis ihr Freitag in den Arm fällt. „Lass gut sein, du kannst doch nicht unser Festessen kaputt schlagen.“
***
Sonja stellt zwei Taschen in den Kofferraum von Dr. Andreas Ritzler.
„Puh!“, stöhnt sie. „Hoffentlich erlebe ich nie wieder so einen Tag wie heute. Bisher kannte ich solche Bilder nur aus dem Fernsehen, aber jetzt ist es auch bei uns passiert. Niemals zuvor habe ich so viele verletzte Menschen auf einmal gesehen.“
„Auf meiner Station sieht es auch nicht anders aus, Schätzchen“, erwi dert Ritzler. „Sie liegen überall in den Gängen. Jeder Quadratmeter ist be legt. Es überschreitet sämtliche Grenzen unserer Substanz. Bin ich froh, dass wir zumindest ein paar Stunden ausruhen können.“
„Ich bin dir sehr dankbar, Andi, dass du mich mitnimmst. Ich kann un möglich einen Meter fahren. Nur mehr nach Hause, unter die Dusche und ab ins Bett. Ich bin fix und fertig. Willst du bei mir übernachten? Der Bub ist bei meinem Ex.“
Sonja beugt sich nochmals in den Kofferraum, um in einer ihrer Taschen zu kramen. Plötzlich verspürt sie einen ihr vertrauten Geruch, fühlt etwas Feuchtes auf Nase und Mund, doch es ist zu spät, sich dagegen zu wehren . Ihre Sinne schwinden, ihr wird schwarz vor den Augen und sie kippt kopfü ber n ach vorne. Ritzler gibt der zierlichen Frau einen Schubs und Sonja verschwindet im Kofferraum. Niemand in der Tiefgarage des Krankenhause s ist hier, auch die Überwachungskamera sieht nichts. Der abgebrühte Arzt hat vorsorglich sein Auto außerhalb des Blickfeldes abgestellt. Das uralte Chloroform ist noch immer die Betäubungsmethode, die sich am besten bewährt. Mit vorbereiteten Schnüren fesselt er die Krankschwester an Händen und Füßen und verklebt ihr den Mund. Für die Strecke, die er zu fahren gedenkt, noch dazu mit kaum Verkehr zu dieser späten Stunde, reicht die Luft im Kofferraum. Zufrieden klappt er den Deckel zu, steigt ein, start et, gibt Gas und fährt in die Nacht. Er wird einige Schleichwege fahren, um die Polizeikontrollen zu umgehen, die aufgrund der Ereignisse massiv verstärkt worden sind.
***
Weit nach Mitternacht kehrt Lena nach Hause zurück. Obwohl selbst to d müde, wartet Kokoschansky auf sie. So hat er sie noch nie erlebt. Einsil big, t eilweise mürrisch und kurz angebunden, beinahe teilnahmslos und irgend wie weggetreten. Sie reißt sich nur die Klamotten vom Leib, lässt das Zeu g, entgegen ihrer üblichen Art, einfach auf dem Boden liegen und verschw in det im Badezimmer, duscht lange und ausgiebig. Ihr Versuch mit dem Geschehen, das sie hautnah miterleben musste, halbwegs fertig zu werden, sich gleichsam den Dreck, das Elend und Leid herunterzuschrubben. Für sie war dieses grauenhafte Erlebnis in solch apokalyptischen Ausmaß das erste Mal. Nicht vergleichbar mit einem Verkehrsunfall mit mehreren Toten, obwohl auch grauenhaft genug. Doch das passiert täglich und man ist auf eine Weise, besonders in ihrem Beruf, darauf vorbereitet. Auch eine Leiche in einer Wohnung aufzufinden, mag sie noch so durch den Tod entstellt sein und lange gelegen haben, ist mit einem Terroranschlag schwer zu vergleichen, obwohl es sich in beiden Fällen um ausgelöschte Menschenleben handelt. Erlebnisse und Erinnerungen, die sich bis ans eigene Ende fest im Gedächtnis einbrennen.
Doch im Blut anderer herumwaten zu müssen, über abgerissene Körpert eile zu steigen; Schwerverletzten, die einem unter den Händen wegsterben, nur mit Worten Trost spenden zu können; Kindern, die nach ihren Eltern schreien, nicht sagen zu können, ob diese noch am Leben sind - das zerrt an den Nerven und schlägt sich auf die Psyche. Nur wenige ganz Harte stecken solche Traumata unbeschadet weg.
Kokoschansky versteht es, weiß, wie sich die Einsatzkräfte fühlen, wie das Personal in den Krankenhäusern mit der eigenen Verzweiflung kämpft, d arum sagt er nichts, fragt nicht, wartet nur bis Lena ins Bett geschlüpft und eingeschlafen ist. Sein
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