Kokoschanskys Freitag
bleiben!“, bellt ihr Wächter und klopft an eine Tür. Ein leiser Summton ertönt und der Sesam öffnet sich. Gleißendes Licht fällt in das düstere Gewölbe, blendet für Sekunden die Frauen, die von ihrem Wär ter in den riesigen Raum gestoßen werden, während sich hinter ihnen, kaum hörb ar, die Tür von selbst wieder schließt.
Sonja traut ihren Augen nicht. Sie steht in einem Operationssaal, der mit modernsten Geräten ausgestattet ist. Fein säuberlich liegen die Instrumente bereit, es gibt hinter einem Glasfenster sogar ein Labor. Bei einem ersten Überblick scheint es an nichts zu fehlen.
Vor dem OP-Tisch steht mit dem Rücken zu den Frauen ein schwarzer, lederner Bürosessel mit hoher Lehne. Darin sitzt eine Person, der Sessel beginnt sich langsam zu drehen. Sonja erstarrt ...
***
„Du hast Glück, Koko“, sagt der Mann. Er ist ungefähr in Kokoschanskys Alter und mit einer Faltenlandschaft im Gesicht, die Keith Richards von den Stones neidisch machen würde und auf einen nicht besonders gesunden Lebenswandel schließen lässt. „Eigentlich sollte ich heute für den ORF dre hen, doch der Dreh ist abgeblasen worden. Mann, ist das Ewigkeiten her, dass wir zusammen gedreht haben?! Echt, ich freue mich riesig wieder mit dir zusammen zu sein. Wo du bist, ist auch Action.“
Die Freude beruht auf Gegenseitigkeit. Kokoschansky hatte immer gerne mit Erwin Weiland gearbeitet. Doch wenn man sich, wie Kokoschansky, aus dem Fernsehgeschäft weitgehend zurückgezogen hat, verliert man sich in diesem Job oft über Jahre gänzlich aus den Augen.
„Warum bin ich der Auserwählte?“, will Weiland wissen.
„Weil du dich ab einem gewissen Moment ebenso wenig um etwas scheiß t wie ich. Genügt das als Antwort?“
„Ja. Für wen drehen wir eigentlich? Für den ORF ?“
„Habe ich von einem Armenhaus gesprochen? Es steht einiges auf dem Spiel und wenn die Rechnung aufgeht, klingelt es für uns beide kräftig in der Kasse.“
„Musik in meinen Ohren. Fifty-fifty der Deal?“
„Logisch.“
„Also, worum geht es? Du wolltest nur mich mit der Kamera, keinen Tonmann.“
„Erwin, ich habe jetzt nicht die Zeit dir alles zu erklären. Du drehst jetzt ein Interview und wirst dabei mitbekommen, worum es geht. Danach wirst du dir bestimmt Verschiedenes zusammenreimen können.“
„Okay, dann gehen wir rein.“
***
Verzweifelt schreit Kubela den Mann im schwarzen Drehstuhl an: „Wo ist meine Tochter? Was habt ihr mir ihr gemacht?“ Sie will sich auf ihn stür zen, aber der Wächter hält die gepeinigte Mutter mit eisernem Griff am Oberarm fest.
„Es geht ihr gut“, antwortet Ritzler mit ruhiger, sonorer Stimme. „Kein Grund sich Sorgen zu machen.“
Wer Ritzler in seinem eleganten Maßanzug, fliederfarbenem Hemd mit farblich abgestimmter dezenter Krawatte und den modischen Schuhen aus italienischer Fabrikation sieht, würde niemals ahnen, dem Teufel in Person gegenüberzustehen.
„Du mieses, verdammtes Schwein“, brüllt Sonja los. „Was soll das? Lass uns sofort frei und gib der Frau ihre Tochter zurück. Das kostet dich deine Approbation und du wanderst für viele Jahre hinter Gitter. Das schwöre ich dir!“
„Sonja, du begreifst anscheinend nicht, wer hier am Drücker ist.“
„Ich verstehe nur, dass du offensichtlich zu dieser Nazibrut gehörst.“ Obwohl ihr Todesangst die Kehle zuschnürt, will sie sich keine Blöße geb en und vor ihm, gerade vor ihm, der sie so getäuscht und hintergangen hat, Schwäche zeigen. Darüber hinaus fühlt sie sich für ihre Leidensgefährtin v erantwortlich, die vor lauter Sorge um ihre Tochter nicht mehr fähig ist, einen klaren Gedanken zu fassen.
Ritzler setzt genau jenes Lächeln auf, mit es ihm gelungen ist Sonja zu umgarnen. „Ich merke, die Damen haben sich bereits ausführlich unter halten. Du wirst es mir zwar nicht glauben, aber es tut mir unendlich leid, dass ich dich auf diese Weise hereinlegen musste. Ich hatte keine Wahl. Dein Fehler ist, du warst einmal mit Kokoschansky verheiratet, stehst wegen eures Sohnes mit ihm laufend in Kontakt. Leider hat dieser Mann die schlechte Angewohnheit ständig seine Nase in Angelegenheiten zu stecken, die ihn nichts angehen. Natürlich war es ein blöder Zufall, dass er ausge rechnet in der Bank sein musste, als ihr Ex-Mann“, er deutet mit dem Kopf auf Kubela, „diesen dilettantischen Überfall ausführen wollte. Und dann wird er auch noch erschossen, der Arme! Ausgerechnet von einem Musel man!
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