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Kolibri

Kolibri

Titel: Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Benvenuti
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stand er jetzt hier, auf der Terrasse der Firma seines Exarbeitgebers, unter ihm, auf der anderen Straßenseite, ein Haufen Polizisten, Journalisten und Leute von der Rettung und der Feuerwehr, und weiter hinten, von ihm aus gesehen rechts, die Demonstranten, die nach wie vor Schilder, Transparente und T-Shirts mit Aufschriften hochhielten, deren skandierte Forderungen aber, vermutlich eingedenk der späten oder frühen Stunde, in letzter Zeit eher spärlich ausgefallen waren.
    â€žIch ahne, was du vorhast“, sagte Maria mit ineinander verknoteten Fingern und trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Sie stand in der Terrassentür, unsichtbar für die Leute unten, die Digicam baumelte an einer Kordel um ihren Hals.
    â€žDann schnall dich besser an, Baby“, sagte Karl und machte einen Schritt zurück, so dass er sich voll im Scheinwerferlicht befand. Mit dem dünnen, nackten Oberkörper, den stacheligen Haaren, den geröteten Augen und dem leicht abwesenden Gesichtsausdruck wirkte er genau so, wie er Maria zuliebe wirken wollte. Wie ein verdammter Rockstar.
    Er stemmte eine Hand in seine Hüfte, strich sich mit der anderen ein paar Strähnen aus der Stirn und fing an zu singen.
    â€žErich, schläfst du? Wach auf, Erich! Erich?“
    Vor drei Sekunden hatte Widmaiers Handy geklingelt, er hatte es im Halbschlaf aus der Tasche gezogen und quasi in einem Reflex den grünen Hörer gedrückt und sich das Mobiltelefon ans Ohr gehalten. Er brauchte ein paar Sekunden, um zu realisieren, dass das die Stimme seiner Frau war, die seinen Gehörgang malträtierte.Schlagartig war er hellwach. Mit einem Ruck setzte er sich auf, der Liegestuhl ächzte unter seinem Gewicht, und sagte: „Karin, alles in Ordnung? Ist was passiert?“
    â€žSag, schläfst du?“
    â€žJetzt nicht mehr. Was ist denn los?“
    â€žWas ist denn los, verdammt?“, fragte Drechsler, der durch den Lärm geweckt worden war und nun augenreibend versuchte, sich aus den verlockenden Tiefen des Liegestuhls freizukämpfen.
    â€žDas will ich gerade rausfinden“, sagte Widmaier.
    â€žWas willst du rausfinden?“, fragte Karin.
    â€žWas hier los ist. Warum du mich angerufen hast. Was passiert ist.“
    Inzwischen waren auch Kollaritz und Lehner wach, sie hockten mit schlafverquollenen Gesichtern auf den Kanten ihrer Liegestühle und lauschten Widmaiers Teil des Gesprächs. Nubia lag nach wie vor neben dem Stuhl von Kollaritz und wedelte träge mit dem Schwanz.
    Drechsler stand auf, streckte sich und zündete sich eine Zigarette an. Dabei fiel sein Blick auf die hellerleuchtete Terrasse auf der anderen Straßenseite und er stieß Widmaier mit der Schuhspitze an. „Ich glaube, ich weiß, was los ist.“
    â€žIch auch“, brummte Widmaier und verstaute das Handy wieder in der Hosentasche. „Karin hat mich gerade aufgeklärt.“
    â€žWas denn?“, fragte Lehner und zerrte seine auf Halbmast gewanderte Krawatte zurecht.
    â€žUnser Bombenleger und Geiselnehmer ist auch noch ein Künstler“, sagte Drechsler und deutete zur Fabrik, auf deren Terrasse Karl Michael Baumgartner gerade anfing, seine Rockstarnummer abzuziehen.
    â€žI don’t mind a knife in my heart as long as it’s your knife”
, sang Karl, blickte Maria in die Augen und versuchte, den lasziven Hüftschwung von Eddie White, dem Sänger von
Svelte Mincer
, nachzumachen, was ihm offensichtlich gar nicht so schlecht gelang, denn Mariagrinste übers ganze Gesicht, ihre kleinen weißen Zähne nagten an der Unterlippe und ihr Oberkörper bewegte sich im Takt der unhörbaren Musik, deren Rhythmus Karl durch Klatschgeräusche setzte.
    â€žVerstehst du ein Wort von dem, was der Junge da singt?“, fragte Widmaier.
    â€žNein“, sagte Drechsler. „Ich glaub, der singt Englisch.“
    Sie waren alle nach vorne zum rostigen Gitter gegangen, das den Parkplatz von den Straßenbahnschienen trennte, um so nahe wie möglich an die Fabrik zu gelangen. Drechsler nahm einen Zug von seiner Zigarette, Widmaier klopfte sich geistesabwesend auf seinen Bauch, Kollaritz und sein Kollege lehnten sich ans Gitter und reckten die Köpfe nach oben wie bei einem Rockkonzert, das es, in gewisser Weise, ja auch war.
    â€žIch hab zwar keine Ahnung, was der Bub da singt“, meinte Lehner schließlich, „aber eines weiß ich sicher, er hat eine

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