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Kolibri

Kolibri

Titel: Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Benvenuti
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verstehen Sie mich nicht falsch, aber dürfte ich Ihren Presseausweis sehen?“
    Maria kramte in ihrer Handtasche herum und hielt der Rezeptionistin den Ausweis vors Gesicht.
    Die Rezeptionistin hüstelte. „Da steht aber nicht ORF“, sagte sie.
    Maria starrte ihr direkt in die Augen und sagte: „Schauen Sie genauer hin.“
    Der Blick der Rezeptionistin wanderte vom Ausweis zu Marias Gesicht und wieder zurück und schließlich nickte sie und deutete mit einer schlanken Hand nach links. „Die Aufzüge befinden sich dort drüben. Herr Maier hat eine Suite. Ich melde Sie an.“
    â€žMerci“
, sagte Maria und winkte Bayer und Joe zu sich. Zu dritt fuhren sie im Lift nach oben.
    â€žWar’s schwer?“, fragte Bayer.
    â€žKinderspiel“, sagte Maria.
    Sie stiegen aus. Maria schaute sich um und entdeckte Hermann Maier, der gerade den Kopf aus einer Tür am Ende des Ganges streckte. Maria ging auf ihn zu, breit lächelnd, und sagte: „Ich hoffe, wir sind nicht zu spät.“
    Hermann Maier sagte: „Ein bisschen Zeit hab ich schon noch für Sie.“
    â€žEin bisschen nur?“
    â€žJa“, sagte Hermann Maier, „ich muss noch zur Bank.“
    â€žDas geht doch mittlerweile online“, sagte Maria.
    â€žWirklich? Ich glaube, von Ihnen kann ich noch eine Menge lernen“, sagte Hermann Maier und hielt ihr die Tür auf.

ZWÖLF
    Durch das dumpfe Dröhnen der Bässe kam er wieder zu sich. Im ersten Moment wusste er nicht, wo er sich befand, und als er aufstehen wollte, wäre er beinahe in den Donaukanal gestürzt. Er ließ sich wieder auf den Hintern fallen und rieb sich die Augen. Sein Gesicht und seine nackten Unterarme glühten und waren gerötet. Er hatte mehrere Stunden in der prallen Sonne vor sich hingedöst. In seinem Schädel pochte und hämmerte es und sein Mund war trocken. Er tastete nach der Flasche, fand sie und genehmigte sich einen Schluck Rum. Das Pochen wurde kurz stärker und verschwand nach dem zweiten Schluck.
    Vorsichtig stand er auf, trat ein paar Schritte vom Kanal zurück und blickte sich um. Das
Flex
, das sich links von ihm befand, wurde von grellem Scheinwerferlicht angestrahlt, gedämpfte Techno-Musik drang aus dem Inneren und wehte zu Karl herüber. Rund dreißig Leute standen in kleinen Grüppchen vor dem Lokal, unterhielten sich, rauchten Zigaretten und anderes, tranken Bier, lachten. Karl stand auf dem von der Sonne gewärmten Beton und lachte nicht. Er trank noch ein wenig Rum und spürte, dass ihm schlecht wurde. Nein, schlecht war der falsche Ausdruck. Er fühlte sich elend, hundeelend. Links von ihm spielte sich das pralle Leben ab und er war nicht Teil davon. Sicher, er hätte hinübergehen können, aber er hätte sich vollkommen fehl am Platz gefühlt. Dort drüben herrschte Sorglosigkeit und Ausgelassenheit und Karl fühlte sich weder sorglos noch ausgelassen. Er fühlte sich schlecht und allein und elend.
    Betrübt starrte er auf den Donaukanal. Sterne spiegelten sich im Wasser, wurden von den Wellen geschluckt, um Sekundenbruchteile später wieder freigegeben zu werden. Karl seufzte bei diesem Anblick und dachte, reiß dich zusammen. Er wusste, was er zu tun hatte. Es gab nur eine Möglichkeit, sein Problem zu lösen. Er musste in die Höhle des Löwen und dem Ungeheuer seinen Kopf darbieten.
    Barfuß trabte er den Zugang zu den Öffi-Haltestellen hoch und versuchte, nicht in Scherben und Grauslicheres zu treten. Als er oben stand, hielt er Ausschau nach einer Straßenbahn, sah aber keine. Er überlegte, ob er mit der U-Bahn fahren sollte, aber er fühlte sich zu unruhig, um herumzusitzen und zu warten und dann hundertmal umzusteigen und wieder zu warten. Während er in den sich verdunkelnden Abendhimmel starrte, das Aquarell eines schlechten Malers, kramte er in der Tasche nach seinen Münzen und kam auf knapp fünf Euro. Würde er damit bis zum Haupttor des Zentralfriedhofs gelangen?
    Er ging die paar Meter bis zum Taxistandplatz auf der anderen Straßenseite und stieg in den ersten Wagen, einen Seat. Der Fahrer, ein Mann mit gebräuntem Gesicht und einem dunklen Schnurrbart, senkte die Zeitung und drehte sich zu Karl um.
    â€žWohin,
amigo
?“
    Karl musterte den Fahrer genauer, das lackschwarze zurückgekämmte Haar, den Goldzahn, das Lächeln, das seine Augen umspielte.
„De donde eres

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