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Kolibri

Kolibri

Titel: Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Benvenuti
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tú?“
, fragte er.
    â€žBuenos Aires“
, sagte der Fahrer, bedachte die Rumflasche, die Karl umklammert hielt, mit einem wissenden Blick und lachte.
    Karl nickte und streckte die Hand aus. Der Fahrer schaute auf die Münzen und zog fragend eine Augenbraue hoch.
    â€žReicht das zum Zentralfriedhof?“, fragte Karl.
    â€žZentral
qué
?“, fragte der Fahrer.
    Karl durchstöberte sein Gehirn nach dem passenden Ausdruck.
„Cementerio central?“
, fragte er und hoffte, sich verständlich gemacht zu haben.
    Der Fahrer entblößte seinen Goldzahn, zwinkerte ihm zu und sagte:
„Vale.“
Dann griff er nach den Münzen, ließ sie in eine riesige schwarze Geldtasche gleiten und startete den Wagen.
    Sie fuhren den Franz-Josefs-Kai entlang und bogen dann rechts ab. Karl lehnte sich zurück und starrte auf die Flasche in seiner Hand. Er wusste, es wäre besser, nichts mehr zu trinken, sondern das Fenster runterzukurbeln, den Kopf rauszustrecken und zu hoffen,dass der Fahrtwind den grünen Nebel in seinem Hirn hinwegfegte. Er hob die Flasche und hielt sie vor sein Gesicht. Viel mehr als ein Zentimeter war nicht mehr drin. Und, so fragte sich Karl, was konnte dieser eine winzige Zentimeter Rum schon schaden?
Nada
, genau. Er trank noch einen Schluck und fühlte sich ein wenig besser.
    Während sie durch das spätabendliche Wien fuhren, lehnte sich Karl zur Seite und starrte aus dem Fenster. Sie kamen am Stadtpark vorbei. Er erinnerte sich, wie er dort gesessen hatte, auf seiner Jeansjacke, die Beine untergeschlagen, einen dicken Wälzer über Pflanzenphysiologie in Händen. Er erinnerte sich auch, dass er Maria dort einmal geküsst hatte, kurz nach Sonnenaufgang, nach einer durchzechten Nacht, beide hatten nach Zigaretten und Schnaps gestunken, und ihr Mund war dennoch wie eine Rose gewesen.
    Er seufzte und lehnte sich wieder zurück, während der Fahrer den Schwarzenbergplatz überquerte und in den Rennweg einbog.
    â€žTodo está bien?“
, fragte der Fahrer.
    Nein, sagte Karl, nichts sei in Ordnung. Sein Herz krampfte sich zusammen angesichts der Erinnerungen und es fiel ihm zusehends schwerer, sich den Grund, für den er diesen ganzen Schlamassel hier auf sich nahm, ins Gedächtnis zu rufen. Er versuchte sich an Rocín zu erinnern und brauchte zu seinem Erstaunen einige Sekunden, ehe sich das Bild des dünnen Kubaners vor seinem inneren Auge manifestierte. „Ich will nicht mehr zurück in den verdammten Dschungel“, murmelte er.
    â€žQué?“
, fragte der Fahrer.
    â€žNichts“, sagte Karl leise und hielt die Flasche hoch.
„Sólo el ron.“
    Der Fahrer lachte und sagte, er verstehe.
    Der Rennweg ging in die Simmeringer Hauptstraße über und je näher sie ihrem Ziel kamen, desto unruhiger und unsicherer wurde Karl. Er war betrunken, zumindest
un poco
, das war ihm bewusst, und er trug nur eine Jogginghose und ein T-Shirt und seine Haare sahen aus wie ein Vogelnest und er musste etwas tun, das er eigentlich nicht tun wollte, etwas, wogegen sich alles in ihm sträubte, unddennoch musste er es tun. Dennoch musste er Berger in den Arsch kriechen und sagen, tut mir leid, musste sagen, es war mein Fehler, Sie hatten Recht, musste sagen, bitte geben Sie mir noch eine Chance weil ich verdammt noch mal diesen beschissenen Laborjob brauche obwohl ich kein verdammter Forscher bin und mein Scheißherz jedes Mal ins Koma fällt wenn ich nur die Tür im Keller aufmache und um ehrlich zu sein gehen mir auch diese verdammten Orchideen langsam auf den Sack denn jedes Mal wenn ich sie sehe muss ich an Rocín denken und wie er in diesem winzigen Bretterverhau haust und seine Blumen mit einer Machete verteidigt, und er wartet auf mich, weil ich ihm versprochen habe, dass ich komme mit einem Haufen Geld, und nur deshalb, nur deshalb, Herr Berger, bin ich jetzt hier, um Ihnen in den Arsch zu kriechen und zu betteln, dass ich meinen Job, den ich hasse, wieder bekomme, damit ich einen alten Mann, der meine Seele davor bewahrt hat, zu Asche zu verglühen, nicht enttäusche.
    â€žEstamos“
, sagte der Fahrer und deutete mit der Hand auf das Haupttor des Zentralfriedhofs, das jetzt, gegen halb zehn, geschlossen war. Auf dem Parkplatz vor dem Tor standen einige Autos neben Blumenständen mit heruntergeklappten Holzläden, in der hinteren linken Ecke hockten Bretterbaracken, in deren Rücken Bäume

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