Kolibri
fünfzigjähriger Mann befand. Er war eher klein, knapp eins fünfundsiebzig, wog vielleicht siebzig Kilo und trug sein graues Haar so kurz geschoren, dass die Kopfhaut darunter durchschimmerte. In der Schulterschlaufe seiner schwarzen Uniform steckte ein rotes Barett.
âDer Bombenleger kann sein Testament machenâ, sagte Widmaier mit leichtem Spott, âdas ist Kalina.â
Als ob er ihn gehört hätte, hob Kalina den Kopf und lieà seinen Blick zuerst über Widmaier wandern, um ihn dann kurz auf Drechslers Gesicht ruhen zu lassen. Drechsler und Kalina nickten einander knapp zu, dann steuerte der WEGA-Mann auf einen unmarkierten schwarzen Kastenwagen zu, zog die Schiebetür auf und verschwand im Inneren. Drechsler konnte gerade noch einen Haufen Elektronik ausmachen, ehe die Schiebetür sich mit einem metallischen Scharren wieder schloss.
âIhr kennt euch?â, fragte Widmaier und rieb sein fleischiges Ohrläppchen.
Drechsler nickte. âKalina und ich haben beim Entschärfungsdienst ein paar Kurse gemeinsam absolviert.â
âWieso ist er dann jetzt bei der WEGA?â
âBombenentschärfen war ihm zu langweiligâ, sagte Drechsler. âKalina ist ein, wie soll ich sagen, Mann der Tat.â
âDu meinst, er braucht jede Menge
action
â, sagte Widmaier, wobei er das letzte Wort so aussprach wie Arnold Schwarzenegger.
âGenauâ, sagte Drechsler und lieà seine Zigarette auf den Boden fallen, wo er sie mit einem ungestümen Rubbeln seines Schuhes ausdämpfte. âIch glaube, jetzt bin ich auch deiner Meinungâ, fügte er mit Blick auf die Fabrik hinzu.
âInwiefern?â
âDer Bombenleger tut mir jetzt ebenfalls leid.â
âWarum tut euch der Bombenleger leid?â
Drechsler und Widmaier drehten sich um und sahen sich Maria Eichinger gegenüber, deren Zähne im Dunkeln leuchteten. Drechsler kratzte sich verlegen am Bart und befummelte die Kette aus Holzblüten, die immer noch in seiner Jeans steckte, statt um Marias Hals zu hängen.
âDie WEGA hat gerade ihren Star geschicktâ, erklärte Widmaier. âAnton Kalina.â
Maria zuckte mit den Schultern und zückte ihr Moleskine. âSagt mir nichtsâ, meinte sie, âaber ich schreib mir den Namen sicherheitshalber auf. Mit K?â
Widmaier brummte ein Ja, Maria kritzelte.
âUnd was ist an diesem Kalina so Besonderes?â
âEr ist ein Spezialist.â
âWofür?â
âStürmen.â
âDafür ist die WEGA doch hier, oder?â
âKalina ist der Beste.â
âWarum?â
âEr kennt keine Rücksicht, weder gegen sich, noch gegen andere.â
Maria kaute nachdenklich an ihrem Kugelschreiber herum und machte sich ab und zu ein paar Notizen. Die Story versprach, immerbesser zu werden. Vorhin, als der Bombenleger die Terrasse betreten und heruntergebrüllt hatte, da hatte Marias Herz für eine Sekunde ausgesetzt. Zuerst hatte sie gedacht, ihre Augen würden ihr, verwirrt durch die angespannte Atmosphäre und den Restalkohol in ihrem Blut, einen Streich spielen, aber dann, nachdem sie geblinzelt und mit zusammengekniffenen Lidern erneut hinüber zur Fabrik gestarrt hatte, war ihr schlagartig klar geworden, um wen es sich bei dem angeblich gemeingefährlichen Bombenleger handelte, nämlich um niemand anderen als Karl Michael Baumgartner, Pflanzenphysiologe und, rein zufällig, Marias Exfreund. Und jetzt kam auch noch ein draufgängerischer WEGA-Typ dazu. âWie heiÃt Kalina mit Vornamen?â, fragte sie schlieÃlich.
âAnton.â
âUnd wie wird er genannt? Toni?â
âNur seine Feinde nennen ihn Toni, und auch das nur hinter seinem Rücken.â
âUnd wie nennen ihn seine Freunde?â
âAK 47â, sagte Drechsler und fügte, als er Marias verständnisloses Gesicht bemerkte, hinzu: âWie das Sturmgewehr.â
âSubtilâ, sagte Maria und grinste. Die Story war beinahe zu perfekt, um wahr zu sein. Ein WEGA-Beamter, der wie ein Sturmgewehr hieÃ, und ein Exfreund, der sich mit einer Bombe in einer Chemiefabrik verschanzt hatte, obwohl sie, zugegebenermaÃen, Schwierigkeiten damit hatte, sich den Karl, den sie kannte, als Bombenleger vorzustellen. Aber so langsam begann eine Art Plan in ihrem Hinterkopf zu reifen. Sie kritzelte noch ein paar Infos in ihr schickes schwarzes Notizbuch, dann klappte
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