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Kolibri

Kolibri

Titel: Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Benvenuti
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brachten, den Blick von der Fabrik abzuwenden. Drechsler drängelte sich rücksichtslos durch die Menge, setzte Ellbogen, Knie und Hüften ein, teilte Tritte, Schläge und Beschimpfungen aus und gelangte schließlich bis ganz nach vorne, zur Absperrung, an der eben Major Kalina angelangt war, keuchend, schwitzend, den Helm unter die Achsel geklemmt, die Gasmaske um den Hals baumelnd.
    Drechsler unterdrückte den Impuls, Kalina am Arm zu packen, und brüllte: „Anton, verdammte Scheiße, was ist da drin passiert?“
    Kalina sagte nichts, er holte nur mehrmals tief Luft und warf dann einen ungläubigen Blick zurück auf die Fabrik.
    Nun packte ihn Drechsler doch an der Schulter, brachte sein Gesicht ganz nahe an das des WEGA-Majors heran und sagte: „Habt ihr den Bombenleger?“
    Kalina schüttelte den Kopf.
    â€žWas ist dort drin passiert?“
    Kalina entzog sich Drechslers Griff und trat einen Schritt zurück. „Du willst wissen, was dort drin passiert ist?“ Er spuckte auf den Boden und fluchte. „Eine verdammte Zivilistin hat uns dazwischengefunkt, das ist passiert. Diese verdammte Journalistin hat ein verdammtes Chaos angerichtet!“
    Vorsichtig tapste Karl die Stiegen hinunter. Er wollte nicht den Aufzug benutzen, im Fall dass, tja, sag’s schon, dachte er sich, im Fall, dass die Bullen beim Stürmen der Fabrik den Strom abschalteten und er dann in der finsteren Kabine festsitzen würde. Während er langsam eine Stufe nach der anderen nahm, spürte er, wie die lange unterdrückte und angestaute Wut sich in ihm ausbreitete und jede Faser seines Körpers durchdrang. Plötzlich fiel ihm das Gespräch, das er mit Daniel im
Schikaneder
geführt hatte, wieder ein. Daniel hatte Berger als einen Menschen, der sich alles zurechtbog, weil er sich für überlegen hielt, dargestellt. Nun, sein Freund hatte Recht behalten. Berger hatte ihn absichtlich in eine wirklich üble Situation manövriert. Obwohl er, Karl Michael Baumgartner, den Bullen klar und deutlich zu verstehen gegeben hatte, dass er nicht im Besitz einer Bombe war, geschweige denn, dass er eine solche in Bergers Fabrik deponiert hatte, waren die Bullen gerade dabei, eben diese Fabrik zu stürmen. Das ließ nur einen Schluss zu. Berger hatte die Bullen irgendwie davon überzeugt, dass diese Bombe existierte und er, Karl, ein gemeingefährlicher Irrer war, mit dem man nicht einmal verhandelte. Mein Gott, dachte er, die haben nicht mal
versucht
, mit mir zu reden. Genau wie Berger. Taub für alle Argumente, blind für alle Ansichten außer den eigenen. Berger hatte damit gedroht, dass er, Karl, nie wieder einen Job in der Branche finden würde. Offensichtlich war ihm diese Drohung zu wenig gewesen, nein, Berger, dieser größenwahnsinnige Karrierist, musste an Karl ein Exempel statuieren.
    Als er die schmale Tür, die in die riesige Fabrikhalle führte, öffnete, hörte er das Gebrüll wild durcheinander schreiender Männer, das von einer hohen, aber nicht unangenehm schrillen Frauenstimme kontrapunktiert wurde. Diese Stimme kommt mir bekannt vor,dachte er, und während er sich abmühte, die dazupassende Frau aus dem Fundus seiner Erinnerungen zu kramen, hörte er plötzlich einen gedämpften Knall und das Gebrüll der Männer wurde stärker, nur die Frauenstimme, die war nicht mehr zu hören, und als er weiter in die Halle hineinging, wurde er von übelriechenden weißen Rauchschwaden umspült, die seine Augen tränen und seine Schleimhäute anschwellen ließen, aber vielleicht hatte die Rosenölattacke ihn desensibilisiert, oder vielleicht entwickelte er genau in diesem Moment jene speziellen Kräften, über die immer wieder berichtet wird, jedenfalls konnte er trotz der Rauschwaden atmen und er konnte trotz dieser Rauchschwaden halbwegs klar sehen und als er sich ungefähr in der Mitte der Halle befand, sah er jemanden am Boden liegen, eine Frau, und er trat einen Schritt näher und hielt kurz inne, dann stahl sich ein ungläubiges Lächeln auf seine Lippen, das sich zu einem tiefen, unbändigen Lachen auswuchs und von den Wänden der Halle tausendfach zurückgeworfen wurde. Eigentlich hätte er verwundert sein sollen, aber heute, in dieser Nacht, wunderte ihn gar nichts mehr. Er ging auf die Frau zu, streckte seine Hand aus und sagte:
„Maria, guapa, cómo estás?“

ZWANZIG
    Mit

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