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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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setzten sich ungefähr bis 1300 fort, als die hübsche Kirche von Hvalsey als eine der letzten errichtet wurde. Am Ende gab es in Grönland als kirchliche Einrichtungen eine Kathedrale, ungefähr 13 große Gemeindekirchen, viele kleinere Kirchen und sogar jeweils ein Kloster für Mönche und Nonnen. Bei den meisten Kirchen wurde der untere Teil der Mauern aus Stein und der obere aus Gras errichtet, das Bauwerk von Hvalsey und mindestens drei weitere besaßen jedoch ausschließlich steinerne Wände. Die Ausmaße dieser großen Kirchen standen in keinem Verhältnis mehr zur Größe der winzigen Gesellschaft, die sie errichtete und in Stand hielt.
    Die St.-Nikolaus-Kathedrale von Gardar zum Beispiel ist mit einer Länge von 32 Metern und einer Breite von 16 Metern größer als die beiden Kathedralen in Island, das zehn Mal so viele Einwohner hat wie Grönland. Das Gewicht der größten Steinblöcke im unteren Teil der Mauern, die man sorgfältig in die passende Form gebracht und über mindestens eineinhalb Kilometer aus Sandsteinbrüchen herantransportiert hatte, schätzte ich auf etwa drei Tonnen. Noch größer - etwa zehn Tonnen schwer - war ein Markierungsstein vor dem Bischofssitz. Weiterhin gab es einen 25 Meter hohen Glockenturm und die größte Versammlungshalle Grönlands, die mit einer Grundfläche von 130 Quadratmetern drei Viertel der Halle des Erzbischofs von Trondheim erreichte. Ähnlich üppige Ausmaße hatten die beiden Kuhställe der Kathedrale: Der eine war mit einer Länge von über 60 Metern der größte in Grönland und hatte einen steinernen Türsturz, der rund vier Tonnen wog. Als prächtigen Gruß für Besucher war das Gelände der Kathedrale mit ungefähr 25 vollständigen Walrossschädeln und fünf Schädeln von Narwalen geschmückt, vermutlich den Einzigen, die an einer archäologischen Stätte von Normannisch-Grönland bis heute erhalten geblieben sind. Ansonsten fanden die Archäologen nur kleine Elfenbeinsplitter, denn das Material war so wertvoll, dass es fast ausnahmslos nach Europa exportiert wurde.
    Die Kathedrale von Gardar und die anderen grönländischen Kirchen müssen entsetzlich große Mengen des knappen Holzes als Stützen für Wände und Dächer verschlungen haben. Auch der Import kirchlicher Utensilien wie Bronzeglocken und Messwein muss für die Grönländer teuer gewesen sein, denn sie wurden letztlich mit dem Schweiß und Blut der Jäger in der Nordrseta bezahlt und standen, was die begrenzte Frachtkapazität der eintreffenden Schiffe anging, in Konkurrenz zu dem lebenswichtigen Eisen. Als immer wiederkehrende Aufwendungen für ihre Kirchen zahlten die Grönländer eine jährliche Abgabe an Rom und zusätzliche Kreuzzugssteuern, die allen Christen auferlegt wurden. Diese Abgaben wurden mit den grönländischen Exporten nach Bergen gebracht und dort in Silber umgetauscht. Eine Quittung für eine solche Schiffsladung, die Sechs-Jahres-Kreuzzugssteuer der Jahre 1274 bis 1280, ist erhalten geblieben: Sie lautet auf 666 Kilo Elfenbein aus den Stoßzähnen von 191 Wahlrosszähnen, die der norwegische Erzbischof in zwölf Kilo reines Silber umtauschen konnte. Die Höhe dieser Abgaben und der Umfang der Bauprogramme zeigt, welche Autorität die Kirche in Grönland genoss.
    Am Ende gehörten die besten Landstücke Grönlands, darunter auch ungefähr ein Drittel der Östlichen Siedlung, zu einem großen Teil der Kirche. Die kirchlichen Abgaben und möglicherweise auch andere Exporte nach Europa liefen über Gardar; dort kann man noch heute die Ruinen eines großen Lagerschuppens sehen, der unmittelbar an der Südostecke der Kathedrale stand. Nachdem Gardar also über das größte Lagerhaus Grönlands, die bei weitem größte Rinderherde und das fruchtbarste Land verfügte, war jeder, der dieses Anwesen beherrschte, auch der Herrscher Grönlands. Unklar ist bis heute, ob Gardar und die anderen Kirchengüter der Kirche selbst gehörten oder aber den Bauern, auf deren Land die Kirchen standen. Aber ob Macht und Eigentum beim Bischof oder bei den Häuptlingen lagen, spielt für die wichtigste Erkenntnis keine Rolle: Grönland war eine hierarchische Gesellschaft, ihre großen Wohlstandsunterschiede wurden durch die Kirche gerechtfertigt, und in die Kirchen wurde unverhältnismäßig viel investiert. Wieder müssen wir uns aus heutiger Sicht fragen, ob es den Grönländern nicht besser ergangen wäre, wenn sie weniger Bronzeglocken und dafür mehr Eisen importiert hätten, um Werkzeuge oder

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