Kollaps
besteht zwischen »Alteingesessenen« und »Zugezogenen«: Die einen sind in Montana geboren, ihre Familien leben unter Umständen schon seit Generationen in Montana, in Lebensweise und Wirtschaft halten sie sich an die drei traditionellen Säulen von Bergbau, Holzgewinnung und Landwirtschaft; die anderen sind erst kürzlich zugezogen oder kommen nur zu bestimmten Jahreszeiten. Die drei genannten Säulen der Wirtschaft sind in Montana stark ins Wanken geraten. Die Minen sind wegen der Giftmüllproblematik und billigerer ausländischer Konkurrenz mit wenigen Ausnahmen geschlossen. Der Umsatz mit Holz liegt um 80 Prozent unter den Spitzenwerten vergangener Tage, und von einigen Spezialunternehmen (insbesondere Bauunternehmen für Holzhütten) abgesehen, haben die meisten Sägewerke und Holzhandlungen aufgegeben; die Gründe sind vielfältig: Die Öffentlichkeit bevorzugt zunehmend unversehrte Wälder, Waldbewirtschaftung und Brandbekämpfung verschlingen riesige Summen, und es besteht starke Konkurrenz durch Unternehmen aus wärmeren, trockeneren Klimazonen, die gegenüber der Holzwirtschaft im kalten, trockenen Montana einen natürlichen Vorteil genießen. Auch der dritte Pfeiler, die Landwirtschaft, ist auf dem Rückzug: Von den 400 Molkereien, die 1964 im Bitterroot Valley arbeiteten, gibt es heute beispielsweise nur noch neun. Der Rückgang der Landwirtschaft in Montana hat vielschichtigere Gründe als der Verfall von Bergbau und Holzgewinnung, aber im Hintergrund steht auch hier der grundlegende Konkurrenznachteil durch das kalte, trockene Klima, der sich auf Getreideanbau und Viehzucht ebenso auswirkt wie auf die Bäume.
Die Bauern, die heute in Montana ihre Betriebe bis ins hohe Alter weiterführen, tun das teilweise einfach deshalb, weil sie ihre Lebensweise lieben und stolz darauf sind. Tim Huls sagte mir einmal: »Es ist einfach großartig, wenn man vor Anbruch der Dämmerung aufsteht, wenn man den Sonnenaufgang miterlebt und die Falken über sich hinwegfliegen sieht.« Der Bauer Jack Hirschy war 1950, als ich ihn kennen lernte, 29 Jahre alt. Heute, mit 83, arbeitet er immer noch auf seinem Hof, und sein Vater Fred saß an seinem 91. Geburtstag noch im Sattel. Aber »Ackerbau und Viehzucht sind schwere, gefährliche Tätigkeiten«, wie Jill es formuliert, die Schwester des Bauern Jack. Dieser hatte mit 77 Jahren einen Traktorunfall, bei dem er sich innere Verletzungen und Rippenbrüche zuzog, und Fred wäre mit 58 Jahren um ein Haar von einem umstürzenden Baum erschlagen worden. »Manchmal stehe ich im drei Uhr morgens auf und arbeite bis zehn Uhr abends«, fügt Tim Hüls zu seiner Bemerkung über die großartige Lebensweise hinzu. »In diesem Job hat man keinen Achtstundentag. Aber keines unserer Kinder will Bauer werden, wenn man jeden Tag von drei Uhr morgens bis zehn Uhr abends arbeiten muss.«
Mit dieser Bemerkung nennt Tim einen der Gründe für Aufstieg und Fall der Landwirtschaft in Montana: Die bäuerliche Lebensweise war bei früheren Generationen sehr beliebt, aber heute haben die Kinder vieler Farmer andere Vorstellungen. Sie streben nach Berufen, bei denen sie in klimatisierten Räumen vor dem Computerbildschirm sitzen können, statt Heuballen zu wuchten, und abends sowie am Wochenende wollen sie frei haben, statt Kühe zu melken und Gras zu mähen. Sie wollen nicht gezwungen sein, bis über ihr achtzigstes Lebensjahr hinaus einer buchstäblich halsbrecherischen Arbeit nachzugehen, wie es die drei noch lebenden Hirschy-Geschwister tun.
Oder, wie Steve Powell mir erklärt: »Früher haben die Leute nur erwartet, dass sie auf ihrer Farm genügend Lebensmittel für sich selbst produzieren können; heute reicht es ihnen nicht mehr, wenn sie nur satt werden - sie wollen so viel verdienen, dass sie die Kinder aufs College schicken können.« Als John Cook bei seinen Eltern auf der Farm aufwuchs, »war meine Mutter damit zufrieden, wenn sie vor dem Abendessen in den Garten gehen und Spargel stechen konnte, und ich war als Junge zufrieden, wenn ich beim Jagen und Angeln meinen Spaß hatte. Heute wollen die Kinder Fastfood und Pay-TV; wenn die Eltern ihnen das nicht bieten, fühlen sie sich gegenüber ihren Altersgenossen zurückgesetzt. Zu meiner Zeit rechnete man als junger Erwachsener damit, dass man die nächsten zwanzig Jahre arm sein würde, und erst danach konnte man darauf hoffen, dass das Leben angenehmer wurde - wenn man Glück hatte. Heute wollen die jungen Leute es schon frühzeitig
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