Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
es ihm, dem erzürnten Kapitän auszureden, ihn auf einer verlassenen Insel auszusetzen. Nach wenigen Wochen war Núñez de Balboa einer der wertvollsten Offiziere des Kapitäns. Nach wenigen Monaten hatte er den Kapitän überredet, die Kolonie an einen geeigneteren Ort zu verlegen. Nach einem Jahr hatte er den Kapitän abgesetzt und leitete eine Expedition, die entlang der Küste von Panama nach Gold suchte. [671]
In Panama wurde Núñez der erste Europäer, der den Pazifik von der amerikanischen Seite aus sah, eine Heldentat, die ihm anhaltenden Ruhm eintrug. Heute, fünf Jahrhunderte später, fördert eine oberflächliche Online-Suche nach «Núñez de Balboa» zahllose Bilder zutage, die den Konquistadoren auf einem Felsen stehend oder durch die Wellen schreitend zeigen, manchmal in voller Rüstung, wie er staunend auf das endlose Meer schaut, das sich vor ihm ausbreitet. Doch diese heroischen Bilder passen nicht mehr recht zu dem Ruf, den er unter Historikern genießt. Núñez de Balboa war zweifellos kühn und tapfer, aber er hat auch Handlungen begangen, die sich in gültigen moralischen Kategorien unter keinen Umständen rechtfertigen lassen. Und es ist gut möglich, dass er keineswegs der erste Mensch von der anderen Seite des Atlantiks war, der den Pazifik von einem amerikanischen Ufer aus gesehen hat.
Die gerade verlegte Kolonie Santa María la Antigua del Darién (Antigua) gehörte offiziell zum Zuständigkeitsbereich eines anderen Konquistadoren. Als dieser nach Antigua kam, um seine Ansprüche geltend zu machen, setzte ihn Núñez de Balboa in eine lecke Brigg und hieß ihn, auf See hinauszusegeln. Er wurde nie wieder gesehen. Nachdem Núñez seine Herrschaft auf diese Weise gefestigt hatte, wandte er seine Aufmerksamkeit den ortansässigen Kuna und Chocó zu, deren Neigung, sich mit Goldschmuck zu behängen, das gesteigerte Interesse der Spanier erregte. Er begann, Erkundigungen nach der Herkunft des Goldes anzustellen.
Rund achtzig Kilometer nördlich von Antigua regierte ein Mann namens Comagre, der mit seinen vielen Frauen und Kindern nach der Beschreibung des Historikers Pietro Martire in einem Gebäude residierte, «das aus großen, miteinander verflochtenen Hölzern bestand, mit einer Halle, die achtzig Schritt breit und hundertfünfzig Schritt lang war und aussah wie eine Kassettendecke». Seine «Domäne», wie ich sie nennen möchte, hatte rund 10 000 Bewohner. Als Núñez de Balboa ihm einen Besuch abstattete, bewirtete Comagre die Expedition mit «Wein aus Getreide und Früchten», stellte den Besuchern für die Dauer ihres Aufenthalts siebzig Sklaven zur Verfügung und schenkte ihnen «viertausend Unzen Gold in Gestalt von Kleinodien und fein gearbeiteten Schmuckstücken». Die Spanier holten Waagen hervor und teilten die Beute unter heftigen Streitereien auf. Comagres Sohn lachte über ihre kindische Gier und berichtete ihnen von der Existenz einer anderen Domäne mit noch mehr Gold an den Ufern «eines anderen Meeres, das von euren kleinen Booten noch nie befahren wurde». [672]
Ein anderes Meer! Noch mehr Gold! Núñez de Balboa war außer sich vor Aufregung. Er kehrte nach Antigua zurück, stellte eine Expedition zusammen, die etwa achthundert Mann stark war – zweihundert Spanier und sechshundert Indianer – und brach am 1 . September 1513 auf. Mit von der Partie waren mindestens ein Mann mit multiethnischen Wurzeln und ein Afrikaner, beide wahrscheinlich Sklaven; der Afrikaner erhielt später seine Freiheit, Land in Nicaragua und hundertfünfzig indianische Sklaven. Das Unternehmen begann in den steilen, feuchten und dicht bewaldeten Hügeln Südpanamas, die sich fast direkt an der Küste erheben. Es war der Höhepunkt der Regenzeit – der jährliche Niederschlag kann bis zu fünf Meter betragen. Unter dem Gewicht der Rüstungen taumelnd, von Insekten und Schlangen geplagt, mit Schlamm bedeckt, begannen die Spanier Krankheiten und Verletzungen zum Opfer zu fallen. Núñez de Balboa führte seine zerlumpte Schar von einer indigenen Gemeinschaft zur anderen, stellte Fragen, bat um Lebensmittel und ließ jedes Mal die Schwachen und Kranken zurück. Die Hänge des Küstengebirges fallen schwindelerregend in das heiße, schlammige Tal des Rio Chuchunaque ab, der so nah am Pazifik liegt, dass die Gezeiten noch weit flussaufwärts für tägliche Überschwemmungen sorgen. Vom anderen Ufer des Flusses ragt schroff eine Gruppe von niedrigen, mit Palmen bestandenen Felsen empor.
Weitere Kostenlose Bücher