Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
seinem eigenen Feld. Ein Löffel voll würde genügen, um jeden davon zu überzeugen, dass auf Ifugaos Terrassen etwas ganz Besonderes wächst. Ich beugte mich über den Teller und atmete tief ein. Das Aroma, das mir in die Nase stieg, war so köstlich, dass man es mit Fug und Recht als Duft bezeichnen konnte. Nie zuvor hatte ich einen so ausdrucksvollen Reis gekostet.
Auf den Terrassen wachsen fünfhundert verschiedene traditionelle Varietäten oder Landsorten Reis. [715] Ständig kreuzen die Bauern sie, um besser schmeckende und schneller wachsende Sorten zu erhalten. Die Menschen eines Gebietes ziehen vielleicht eine bestimmte Sorte wegen ihrer Konsistenz in gekochter Form vor; andere bevorzugen eine zweite Sorte, weil sie sich leichter zubereiten lässt; in einer dritten Region werden Sorten mit höheren Erträgen geschätzt oder Sorten gezüchtet, die für Vögel oder Ratten weniger attraktiv sind. In jedem Stadium des Wachstumszyklus werden von Dorfpriestern und Landbesitzern Zeremonien durchgeführt, in denen – häufig unter der Wirkung von Reiswein und gestützt auf das Opfer von Hühnern, Schweinen oder Wasserbüffeln – der Beistand lokaler Götter erfleht wird. Viele Bauern sind Christen, trotzdem nehmen sie an diesen Kulthandlungen teil. Die Terrassen und ihre Bewässerungskanäle werden durch ein kompliziertes Ritual genau festgelegter Handlungen instand gehalten. Diese Lebensweise hat die genetische Vielfalt des Reises erhalten und die Bodenqualität trotz Jahrhunderten intensiver Bebauung bewahrt. Diese ganze soziale, kulturelle und ökologische Welt würde mit den Terrassen verschwinden.
Heute haben die Bauern die Schnecken weitgehend im Griff. Das größere Problem stellen die Würmer dar. 2008 haben zwei Biologen in den Terrassen neun Wurmarten entdeckt, die für die Wissenschaft vollkommen neu waren. Aber sie waren nicht exotisch, sondern Einheimische. Sie haben schon immer – vermutlich in geringer Zahl – in den Wäldern gelebt. Doch als auf den Hängen um Ifugao das philippinische Mahagoni abgeholzt wurde, veränderte sich ihr Umfeld, und sie wanderten in die Reisfelder ab. Der Grund für das Problem waren keine importierten Arten, sondern die weltweit gestiegene Nachfrage nach philippinischem Mahagoni. [716]
Kurzum, das Problem war mein Großvater. Menschen wie er, so sagen Umweltschützer, waren, wie unwissend auch immer, Helfershelfer der Globalisierung. Sein unschuldiger Wunsch nach einem neuen Tisch löste eine Inselversion der großen Palmherzenjagd in Amazonien aus: Mit Kettensägen bewaffnete Glücksritter fielen in Luzons Berge ein und richteten in ihrem hektischen Bemühen, jeden Luanbaum der Region zu schlagen, schwere ökologische Schäden an. Ließe man die Gier gewähren, würde sie dieses schöne, uralte ökologische System zerstören, wie sie schon viele andere vernichtet hat. Der Konzernkapitalismus fegt über Ozeane und Grenzen hinweg und ruiniert, fast ohne einen Gedanken darauf zu verschwenden, diese traditionellen Lebenswelten! Manuel war etwa fünfundsechzig – sein genaues Alter konnte er nicht angeben –, aber er glaubte, er werde das Ende der Reisterrassen noch erleben. Das war Anschauungsunterricht über die Übel der Globalisierung.
Oder doch nicht? Die beiden ersten Anthropologen, die kamen, um die Ifugao-Terrassen zu erforschen, suchten sie vor dem Ersten Weltkrieg auf. Beide waren über deren scheinbares Alter erstaunt. «Der Bau dieser Terrassen muss wirklich lange gedauert haben», staunte der Bekanntere der beiden, Henry Otley Beyer. Der Chemiker, der auf die Inseln zog, die halbwüchsige Tochter eines hochrangigen Ifugao heiratete und als Begründer der philippinischen Archäologie gilt, behauptete mit Nachdruck, die Ifugao hätten «zwischen 2000 und 3000 Jahre gebraucht, um den Nordteil der Insel Luzon mit den großen terrassierten Flächen zu überziehen, die es dort heute gibt … Vor 1000 oder 1500 Jahren hatten diese Terrassenflächen ihre größte Ausdehnung erreicht.» [717]
Beyers Vermutung galt lange Zeit als Evangelium und wurde unzählige Male in Fremdenführern wie dem meinen nachgebetet. Leider hatte er keinen konkreten Beleg für seine Schlussfolgerung. Er schätzte einfach aus dem Bauch heraus, wie lange Menschen ohne moderne Geräte wohl brauchen würden, um Terrassen zu bauen, die sich über eine Fläche von 2000 Quadratkilometern erstrecken. Erst 1962 versuchte Felix Keesing, ein Anthropologe der Stanford University,
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