Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
Völker ihre Feinde, die sie als Sklaven verkauften – eine Vorgehensweise, für die sie weitere Schusswaffen brauchten. Die Angegriffenen gingen ihrerseits auf Sklavenjagd und tauschten die Gefangenen gegen Gewehre ein. Es war ein Teufelskreis – der Bedarf erzeugte immer neuen Bedarf.
Ungeachtet der Befürchtungen der Virginia-Kompanie war Jamestown von Spanien oder Frankreich nie unmittelbar bedroht. Da Carolina näher am spanischen Florida und am französischen Louisiana lag, hatte es weit mehr Grund zur Sorge; tatsächlich versuchte Spanien die Kolonie gleich in den ersten Monaten nach ihrer Gründung zu vernichten. [231] Dagegen entwarfen Carolinas Führer einen eleganten Plan: Sie forderten benachbarte Indianerstämme auf, sie mit Sklaven zu versorgen, die sie bei den indigenen Verbündeten der Spanier und Franzosen erbeuten sollten; so konnten sie ihre Feinde destabilisieren und zugleich ihren Arbeitskräftemangel beheben. [232]
Wirtschaftlich betrachtet, war die indigene Sklaverei ein gutes Geschäft für alle Seiten. Auf dem Markt in Charleston konnten die Indianer manchmal einen einzigen Sklaven für den gleichen Preis verkaufen, den sie für hundertsechzig Hirschfelle erzielten. «Ein Sklave bringt ein Gewehr, Munition, Pferd, Beil und ein Gewand, was nicht ohne mühselige Jagd zu beschaffen wäre», schrieb ein Sklavenkäufer in Carolina 1708 , wobei er vielleicht etwas übertrieb. «Die guten Preise, die sie von den englischen Händlern bekommen, machen dieses Geschäft für sie äußerst reizvoll.»
«Gute Preise» aus Sicht der Indianer, aber preiswert für die Engländer. Indianische Gefangene kosteten fünf bis zehn Pfund, nur halb so viel wie Vertragsdiener, so der Historiker Alan Gallay von der Ohio State University, der Autor des Buchs
The Indian Slave Trade
( 2002 ), eines vielgelobten Berichts über den Aufstieg und Fall dieses Phänomens. Wichtiger noch, die jährlichen Kosten waren für die Besitzer viel niedriger, weil die Sklaven nicht nach wenigen Jahren freigelassen werden mussten – unter Umständen konnte sich der Kaufpreis über Jahrzehnte amortisieren. Kein Wunder, dass die Kolonisten lieber indianische Sklaven als europäische Diener nahmen. Nach einer Volkszählung von 1708 , der ersten in Carolina, gab es 4000 englische Kolonisten, fast 1500 indianische Sklaven und nur hundertsechzig Diener, vermutlich mehrheitlich auf Vertragsbasis. [233]
Im Laufe der Zeit wurde Carolina bekannt als Sklavenimporteur, ein Ort, wo die Schiffe aus Afrika eintrafen und die Gefangenen, benommen und krank, zur Auktion getrieben wurden. Doch während der ersten vierzig Jahre war die Kolonie vor allem ein Sklavenexporteur – ein Ort, von wo aus gefangene Indianer in die Karibik, nach Virginia, New York und Massachusetts geschickt wurden. Daten über solche Indianertransporte sind spärlich, weil Kolonisten sie in dem Bestreben, Steuern und Vorschriften zu umgehen, auf kleinen Booten verschifften und darüber kaum Unterlagen anfertigten. Diese Option hatten die großen Sklavenunternehmen in Europa nicht. Anhand der bruchstückhaften Belege schätzt Gallay, dass die Kaufleute in Carolina zwischen 1670 und 1720 30 000 bis 50 000 gefangene Indianer kauften und sie wohl größtenteils exportierten, legt man ihre sehr viel geringere Anzahl aus der Volkszählung in Carolina zugrunde. Im selben Zeitraum trafen per Schiff nur 2450 Afrikaner in Charleston an, wenn auch einige auf dem Landweg aus Virginia kamen. [14] [234]
Hier fällt ein geographisches Zusammentreffen auf. 1700 war die Atlantikküste vom heutigen Maine bis zum heutigen South Carolina mit englischen Kolonien übersät. Die nördlichen Kolonien befanden sich auf dem Gebiet der Algonkin sprechenden Indianergesellschaften, die wenig Sklaven hielten und kaum Interesse daran hatten, Gefangene zu kaufen oder zu verkaufen; die Kolonien im Süden lagen in Nachbarschaft der ehemaligen Mississippi-Gesellschaften mit vielen Sklaven und beträchtlicher Erfahrung im Sklavenhandel. In etwa war die Grenze zwischen diesen beiden unterschiedlichen Gesellschaftsarten die Chesapeake Bay, nicht weit von der Grenze zwischen Sklaven- und Nichtsklavenstaaten in den Vereinigten Staaten. Bereitete die Nachbarschaft von Indianergesellschaften, in denen Sklaven verkauft wurden, den Boden für die spätere Haltung afrikanischer Sklaven in den Südstaaten? Spiegelte der schreckliche Konflikt, der zum Amerikanischen Bürgerkrieg führte, auch eine
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