Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
unter und pflanzten stattdessen Kartoffeln. Die Ernte reichte aus, um Sachsens angewachsene Bevölkerung zu sättigen, bot aber nicht genügend Nährstoffe – es fehlte an Milch. Die Landwirte in Zentralspanien fällten ihre Oliven- und Mandelbäume und legten Kartoffeläcker an. In den Dörfern wuchs der Wohlstand und damit einhergehend die Bevölkerungszahl. Und so fort. [433]
Wie die amerikanischen Nutzpflanzen nicht die einzige Ursache für Chinas Bevölkerungsboom waren, so lässt sich auch nicht allein ihnen die entsprechende Entwicklung in Europa zuschreiben. Die Kartoffel traf ein, als sich bereits so grundlegende Veränderungen in der Nahrungsproduktion vollzogen, dass einige Historiker von einer Agrarrevolution sprechen. Verbesserte Transportbedingungen ermöglichten es, Nahrungsmittel aus landwirtschaftlich prosperierenden Gebieten in Regionen mit kargen Ernten zu befördern. Sumpf- und Hochlandgebiete wurden urbar gemacht. Die dörflichen Gemeindefluren wurden einzelnen Familien zugewiesen, wodurch zwar viele Kleinpächter enteignet wurden, aber die Entwicklung der mechanisierten Landwirtschaft vorankam – die neuen Besitzer hatten die Sicherheit, ihre Einkünfte behalten zu dürfen, wenn sie in ihre Höfe investierten. Reformer wie Young setzten sich für bessere Anbaumethoden ein, besonders für die Verwendung von Stallmist als Dünger. [434] Die Bauern lernten, auf brachliegenden Feldern Klee anzubauen, der dem Boden neue Nährstoffe zuführte. [435] Dank dieser ursprünglich von den Mauren in Spanien domestizierten Pflanze konnten die Europäer verhindern, dass ihre Nutzflächen durch Überweidung zerstört wurden. Die Fortschritte waren nicht auf die Landwirtschaft beschränkt. Das amerikanische Silber veranlasste die Europäer, Schiffe zur Intensivierung des Handels zu bauen, wodurch der Lebensstandard stieg. Einige Verbesserungen betrafen auch die Regierungsformen des Kontinents und sogar seine katastrophale Hygiene. Wie in China begann die Kleine Eiszeit abzuklingen.
2010 versuchten zwei Wirtschaftswissenschaftler von der Harvard und der Yale University diese Faktoren zu erklären, indem sie Entwicklungen in Europa miteinander verglichen, die sich nur in Hinblick auf ihre Beziehung zur Kartoffel unterschieden; alle systematischen Abweichungen, meinten sie, müssten dann auf die neue Feldfrucht zurückzuführen sein. Nach «vorsichtigster» Schätzung war
S. tuberosum
danach für ein Achtel des europäischen Bevölkerungswachstums verantwortlich. [436] Oberflächlich betrachtet, mag die Zahl nicht besonders hoch erscheinen. Das lang anhaltende Bevölkerungswachstum des Kontinents hatte viele Ursachen. Beispielsweise lässt sich aus dieser Berechnung aber der Schluss ziehen, dass die Einführung der Kartoffel für die Moderne so wichtig war wie etwa die Erfindung der Dampfmaschine.
Die Guano-Ära
Es hieß, die Inseln würden einen so schrecklichen Gestank absondern, dass man sich ihnen kaum nähern könne. Die Rede ist von einer Gruppe trockener Graniterhebungen, dreizehn Meilen vor der peruanischen Küste, rund achthundert Kilometer südlich von Lima. Fast vollkommen ohne Vegetation, waren die Chincha-Inseln nie von Indios bewohnt – jedenfalls nie lange. Von Bedeutung sind sie allein durch ihre Population von Seevögeln, vor allem der Guanotölpel, der Guanokormorane und der Chilepelikane. Angelockt werden die Vögel durch die starke Küstenströmung, die kaltes Wasser aus der Tiefe nach oben zieht. Das Phytoplankton gedeiht prächtig dank der Nährstoffe, die mit dem Wasser emporsteigen. Das Zooplankton frisst das Phytoplankton und dient seinerseits als Hauptnahrung für die Peruanischen Sardellen. Die großen Sardellenschwärme werden von anderen Fischen gefressen. Beute- und Raubfische gleichermaßen sind ein gefundenes Fressen für Guanotölpel, Guanokormorane und Chilepelikane. Alle drei Arten nisten seit Jahrtausenden auf den Chincha-Inseln. Im Laufe der Zeit haben sie die Inseln mit einer bis zu fünfzig Meter hohen Guanoschicht bedeckt. [437]
Aus Guano lässt sich ein ausgezeichneter Dünger herstellen. Im Prinzip ist Dünger nichts anderes als ein Mechanismus, der Pflanzen mit Stickstoff versorgt. Dieses Element brauchen Pflanzen, um Chlorophyll herzustellen, die grüne Substanz in ihren Blättern, die Sonnenenergie für die Photosynthese absorbiert. Stickstoff ist auch ein unentbehrlicher Baustein der DNA und der von ihr zusammengefügten Proteine. Obwohl mehr als drei Viertel
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