Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
Rand des Ruins brachte. Eifrige Forscher und Ingenieure erfanden Nebler, Sprühgeräte und Zerstäuber, Druckventile und verstellbare Messingdüsen. Aus dem Pulver wurde eine Flüssigkeit, aus dem Kupfer-Arsen-Gemisch ein Blei-Arsen-Gemisch und dann ein Calcium-Arsen-Gemisch.
Wenn Schweinfurter Grün wirkte, warum sollte man dann nicht auch einen anderen arsenhaltigen Farbstoff verwenden? Londoner Purpur zum Beispiel? Warum nicht andere Chemikalien für andere landwirtschaftliche Probleme? [485] Mitte der 1880 er Jahre entdeckte ein französischer Forscher, dass man mit der «Bordeaux-Mischung» – Kupfersulfat, mit dem man Kinder vom Obstnaschen abhielt – den Falschen Mehltau auf Weinreben abtöten kann. Im Besitz einer neuen chemischen Waffe, richteten die Forscher sie auch gegen andere Schädlinge und hofften, sie werde sich als ebenso tödlich erweisen wie das Schweinfurter Grün. Rasch entdeckten sie, dass Kupfersulfat – welch glückliche Fügung – das lang ersehnte Mittel gegen die Kraut- und Knollenfäule war. Wenn man die Kartoffelpflanzen erst mit Schweinfurter Grün und dann mit Kupfersulfat besprühte, beseitigte man sowohl den Käfer als auch die Fäule. [486]
Von Anfang an wussten die Landwirte, dass Schweinfurter Grün und Kupfersulfat giftig sind. Noch vor der Entdeckung der insektiziden Wirkung waren viele Menschen erkrankt, deren Tapeten mit Schweinfurter Grün bedruckt waren. Der Gedanke, Nahrung mit Gift zu besprühen, war den Bauern unheimlich. Sie fürchteten, dass sich die Pestizide und Fungizide im Boden sammeln könnten. Sie hatten Angst, sich und ihre Arbeiter den gefährlichen Chemikalien auszusetzen. Die Kosten dieser ganzen Technologie bedrückten sie. All die befürchteten Schwierigkeiten traten tatsächlich auf, ließen sich aber, zumindest teilweise, lösen. Das größte Problem aber blieb den Landwirten lange Zeit verborgen: Die Wirkung der chemischen Stoffe ging unaufhaltsam verloren.
Kartoffelkäfer sind, genetisch betrachtet, ungewöhnlich vielfältig, woraus folgt, dass sie in ihrer DNA ein ungewöhnlich breites Spektrum von Ressourcen haben. Wissenschaftlich ausgedrückt: die Käferpopulationen haben eine hohe Heterozygotie – neuen Bedingungen ausgesetzt, passen sie sich rasch an. Pech für die Landwirte, dass zu diesen neuen Bedingungen auch Pestizide gehören. Bereits 1912 ließen einige Käfer erste Anzeichen von Immunität gegen Schweinfurter Grün erkennen. Die Bauern beachteten das nicht, weil die Pestizidindustrie ständig neue Arsenverbindungen entwickelte, die die Kartoffelkäfer auch weiterhin töteten. In den 1940 er Jahren stellten Kartoffelbauern auf Long Island fest, dass sie immer größere Mengen des neuesten Arsengemischs – Calciumarsenat – einsetzen mussten, um ihre Äcker in Schuss zu halten. Zum Glück für sie verbrachten Schweizer Bauern den Zweiten Weltkrieg damit, eine vollkommen neue Pestizidart an Kartoffelkäfern zu testen: DDT , ein chemisches Insektizid von nie dagewesener Bandbreite und Durchschlagskraft. Die Landwirte kauften DDT und triumphierten, als die Käfer von ihren Äckern verschwanden. Der Jubel dauerte rund sieben Jahre. Dann passte sich der Käfer an. Die Kartoffelbauern verlangten neue Chemikalien. Die Industrie lieferte Dieldrin. Das wirkte rund drei Jahre. Ab Mitte der 1980 er Jahre war jedes neue Pestizid im Osten der Vereinigten Staaten nur noch eine Saison lang zu gebrauchen.
Im Zuge der «toxischen Tretmühle», wie Kritiker den Prozess nennen, behandeln die Landwirte ihre Kartoffeln ein Dutzend Mal oder öfter pro Saison mit einer ständig sich wandelnden Batterie tödlicher Substanzen. Viele Autoren beklagen das – wohl niemand eloquenter als Michael Pollan in der
Botanik der Begierde
. Landwirte, die Kartoffeln in großem Maßstab anbauten, so Pollan, würden ihr Land mit so vielen Begasungsmitteln, Fungiziden, Herbiziden und Insektiziden besprühen, dass sie, wie es euphemistisch heiße, «saubere Äcker» schafften – bar jeden Lebens, von den Kartoffelpflanzen abgesehen. Außerdem werden die Pflanzen mit Kunstdünger besprüht, gewöhnlich einmal in der Woche während der Vegetationsperiode. Wenn es einige Tage nicht regnet, können sich die Pulver und Lösungen an der Oberfläche des Bodens sammeln und Rückstände bilden, sodass die Felder aussehen, als hätte ein Test für chemische Kampfstoffe stattgefunden. Dort, wo ich wohne, im Nordosten der USA , habe ich Farmer getroffen, die erklärten,
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