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Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)

Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)

Titel: Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles C. Mann
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eingeführten Schwefelhölzern, Einflüssen aus dem Weltraum, verschiedenen Insekten wie Blattläusen, Marienkäfern oder Wanzen der Art
Lygus lineolaris
und einer inhärenten Schwäche der Kartoffel. Edward Hitchcock, ein namhafter Naturforscher am Amherst College, gab die Schuld einer «atmosphärischen Wirkkraft, die zu feinstofflich für die Wahrnehmung unserer Sinne» sei. Einige vermuteten einen Pilz als Verursacher, aber sie wurden niedergeschrien. Wirksame Gegenmaßnahmen wurden nicht vorgeschlagen. Man bat die Wissenschaft um Hilfe, aber bekam keine Antwort. [477]
    «Krieg gegen die Käfer»
    Im August 1861 ereignete sich eine Käferinvasion in einem vier Hektar großen Garten in Nordostkansas, der dem Kartoffelbauern Thomas Murphy gehörte. Sein Name war Programm: Murphy, ein häufiger irischer Nachname, war zugleich ein Dialektausdruck für die Kartoffel. Murphys Kartoffeln – Murphys Murphys – wurden von so vielen Käfern überrannt, dass ihr Besitzer durch das Heer von winzigen, glitzernden Leibern die Blätter kaum noch sehen konnte. Er habe die Insekten von den Pflanzen in einen Korb geschüttelt, schrieb er später, und «in sehr kurzer Zeit siebzig Liter zusammengehabt» – bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass ein Tier kaum einen Zentimeter lang war. Unter anderen Umständen hätte sich Murphy vielleicht an der Schönheit des Käfers erfreut – dem gelb-orangefarbenen Leib und den schwarz gestreiften Vorderflügeln. Aber die Winzlinge verschlangen seine Kartoffelpflanzen mit atemberaubender Geschwindigkeit. [478]
    Murphy hatte den Käfer nie zu Gesicht bekommen, bevor er plötzlich in Massen über seine Kartoffeln herfiel. Auch seine Nachbarn nicht, die ebenfalls von ihm heimgesucht wurden, oder die Bauern in Iowa und Nebraska, die in diesem Sommer die gleichen Invasionen erlebten. Unaufhaltsam drang der Käfer nach Norden und Osten vor, wobei er seinen Herrschaftsbereich um achtzig bis hundertsechzig Kilometer pro Jahr ausdehnte, mit jedem Schritt weitere Kartoffelbauern in Angst und Schrecken versetzend. 1864 erreichte er Illinois und Wisconsin, 1870 Michigan. Sieben Jahre später nahm er sich die Kartoffeln von Maine bis North Carolina vor. Die kleinen Insekten fielen in solchen Schwärmen über die Äcker her, dass sie, nach einer viel erzählten Geschichte, in der Nähe vorbeifahrende Züge zum Stehen brachten. Ihre Körper bedeckten die Gleise mit einer Schicht, die so dick war, dass die Räder durchdrehten, «als wären sie eingeölt, und die Lokomotive nicht mehr genügend Kraft entfaltete, um die Waggons zu ziehen». Starke Winde trieben die Käfer aufs Meer hinaus, von dem sie als glitzernder gelb-orangefarbener Teppich wieder angespült wurden, der verfaulend die Strände von New Jersey bis New Hampshire verpestete. Die Bauern hatten keine Ahnung, woher die Insekten kamen oder wie man sie daran hindern konnte, ihre Kartoffelpflanzen bis zum Boden abzufressen. [479]
    Die Große Hungersnot noch lebhaft im Gedächtnis, vernahmen die Europäer die Berichte über die Verheerung der amerikanischen Kartoffeläcker mit besonderer Angst. Man ließ Tausende kleiner Insektenmodelle anfertigen, um den Bauern die Identifizierung von Murphys Käfer zu erleichtern. Deutsche Behörden verhängten 1870 die wohl erste landwirtschaftliche Quarantäne der Welt, um sich vor US -amerikanischen Kartoffeln zu schützen; Frankreich, Russland, Spanien und die Niederlande folgten ihrem Beispiel. Großbritannien, das Land, in dem die Furcht am tiefsten saß, verhängte kein Verbot gegen US -amerikanische Kartoffeln – es wollte keinen Handelskrieg. In den Frachträumen von Schiffen überquerte der Käfer schließlich das Meer und tauchte auf europäischen Äckern auf, wo er sofort vernichtet wurde. Doch der Erste Weltkrieg lenkte die Behörden ab, sodass sie die Bewegungen des Käfers nicht mehr so gründlich verfolgen konnten. Die günstige Gelegenheit ergreifend, eroberte er einen Brückenkopf in Frankreich und breitete sich von dort nach Westen aus. Heute herrscht er in Europa von Athen bis Stockholm. Auf dem amerikanischen Kontinent erstreckt sich sein Reich vom Süden Zentralmexikos bis zum Norden Zentralkanadas. Viele Biologen fürchten, dass er sich noch nach Ost- und Südasien ausbreiten und damit seine Weltreise vollenden wird. [480]
    Murphys Käfer wird von Entomologen als
Leptinotarsa decemlineata
und von Gärtnern als Kartoffelkäfer bezeichnet. Ursprünglich hatte er gar kein Interesse an

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