Kolumbus kam als Letzter
verlautbarten schon früh radikale Äußerungen von
Gelehrten, die sich mit alten Schriften auskannten und die überwie-
gend lateinische Urkundensprache beherrschten. Der Jesuit Daniel
Papebroch (1628-1714) bestritt die Echtheit aller Herrscherurkunden vor dem 7. Jh., insbesondere die Glaubwürdigkeit alter Klos-terdiplome. Der jesuitische Ordensbruder Jean Hardouin (1646 bis
1714/1729?) bezeichnete die gesamte lateinische Literatur als
erfunden, eine spätmittelalterliche Fiktion der Zeit zwischen 1350
und 1480.
Nach Meinung Hardouins seien nur die Schriften Ciceros, die Na-turgeschichte des Plinius, Vergils Georgica und die Satiren und
Episteln des Horaz original. Ein weiterer Jesuit, Barthelemy Ger-
mon (1673-1718), glaubte, dass jegliche urkundliche Überlieferung
des Frühmittelalters als Fälschung anzusehen sei.
Bereits G.H. Pertz (1849), R. Köpke (1869) u.a. hatten das um
1075 datierte lateinische Lied vom Sachsenkrieg Heinrichs IV. als
Fälschung eines Humanisten von 1508 nachgewiesen, wobei sie
vor allem Anachronismen und stilistische Fehler anführten.
Kaiser Friedrich I. stellte angeblich am 17. September 1156 das
»Große Privileg für das Herzogtum Österreich« aus. Nach jahre-
langem Gelehrtenstreit wurde Ende des 19. Jhs. erklärt, dass es sich 106
um eine Fälschung handelt (Bernheim, 1914, S. 340ff.). Es stellte
sich heraus, dass diese ganze Reihe von Urkunden mit Vorgaben
und Bestätigungen (wahrscheinlich) durch Rudolf IV. ab 1359 her-
gestellt worden sind, also über 200 Jahre nach dem angeblichen Zeitpunkt der Urkundenerstellung. Nachgewiesen wurde diese
Fälschung erst 600 Jahre später. Damit werden aber auch andere
bekannte Dokumente fragwürdig. Beispielsweise beruft sich das
Privileg Barbarossas auf das 1058 ausgestellte gefälschte
Dokument Heinrichs IV. Die alten Urkunden und Dokumente
stellen ein Kartenhaus dar, das einzustürzen scheint…
Das Privileg Heinrichs IV. beweist, dass Latein auch in Rom keine
Muttersprache war. Denn angebliche Urkunden und Privilegien, die
von Kaiser Julius Caesar und Kaiser Nero (angeblich) an Österreich
vergeben worden waren, mussten für die Aufnahme in das Privileg
Heinrichs IV. ins Lateinische übersetzt werden. Die Fälscher
mussten 1359 der Meinung gewesen sein, dass im antiken Rom
eine andere, unverständliche Sprache geschrieben wurde und Latein nur die Sprache der christlichen Kanzleien gewesen sei.
Vielleicht wird jetzt der Eintrag in »Meyers Lexikon« erst ver-
ständlich: »Mit Petrarca begann die Rückbesinnung auf das klassi-
sche Latein und die Erneuerung der antiken Gattungen und Formen
(u.a. Epistel, Biographie, Satire, Ode, Elegie).« Wird hier eine
Rückbesinnung oder im Sinne der bisherigen Ausführungen ein
erstmaliger Start (Erneuerung genannt) dokumentiert?
Wolfram Zarnack stellt fest (in: Kammeier, 2000, S. 399): »… erstens reichen die Fälschungsmerkmale der schriftlichen Überlieferungen
bis ins 14. Jh. hinein. Zweitens war die Stadt Rom vom 5. bis 15. Jh.
allem Anschein nach kein Kulturzentrum. Drittens ist in der christ-
lichen Überlieferung die Stadt Rom als das Zentrum der katholischen Kirche unverrückbar verankert. Folglich würde die mittel-
alterliche Geschichte ihre Grundlage in dem Moment verlieren, da das kulturelle Zentrum ›Stadt-Rom‹ als Fiktion erwiesen ist. Die
Stadt Rom hat aber offensichtlich weder an der Romanik, noch an
der Gotik, noch an den frühen Stadien der Renaissance teilgenom-
men. Sie tritt vielmehr erst mit dem großartigen, ehemals größten
abendländischen Bau des Petersdoms als Kulturzentrum in Erschei-107
nung.« Die Geburt einer fiktiven Kultur könnte nicht besser be-
schrieben werden.
Der Papst verließ 1376 Avignon, um dann nach der Kirchenspal-
tung des Abendlandes (Schisma) ab 1417 endgültig mit dem Sitz
des Papsttums in das Ruinenfeld von Rom umzuziehen, das noch
von einer alten Stadtmauer umgeben war. Die Ruinen einer antiken
Stadt lieferten nach Gründung der katholischen Kirche 1409 zu
Pisa (gemäß Kammeier) genug Material für die päpstlichen Kalk-
brennöfen zur Errichtung antiker Bauten und damit der Stadt Rom.
Der Baubeginn für die Peterskirche war 1506 während der
Renaissance. Erst seit dieser Zeit verläuft die Geschichte ungefähr
so, wie wir sie in den Geschichtsbüchern nachlesen können.
Eine Kirche ohne lange Geschichte und ohne Kontinuität ihres
Machtzentrums erscheint nicht nur für noch zu
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