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Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)

Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)

Titel: Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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mir, weil du etwas fühlst, das du nicht identifizieren kannst. Ein Gefühl, das sich für ein anderes ausgibt und auf diese Weise versteckt. Im Grunde geht es dabei um etwas, das du nicht fühlen willst . Das ist die klassische Leugnung, genau wie bei Männern, die sich gegen ihre Homosexualität wehren.«
    »Aber ich leugne doch gar nicht, ein potentieller Vergewaltiger zu sein. Ich sage das ganz offen.«
    »Du bist kein Vergewaltiger, Harry, so was wird man nicht über Nacht. Ich denke, es geht hierbei um eine von zwei Sachen, wenn nicht um beide. Die eine ist, dass du eine Form von Aggression auf dieses Mädchen verspürst. Dass es darum geht, die Kontrolle zu haben. Und dass dieser mögliche Übergriff so etwas wie eine Strafmaßnahme war. Treffe ich damit einigermaßen ins Schwarze?«
    »Hm, vielleicht. Und der zweite Punkt?«
    »Rakel.«
    »Wie meinst du das denn?«
    »Was dich anzieht, ist weder die Vergewaltigung noch dieses Mädchen, sondern die Möglichkeit, untreu zu sein. Rakel zu betrügen.«
    »Ståle, du …«
    »Immer mit der Ruhe. Du kommst zu mir, weil du jemanden brauchst, der dir das sagt, was du längst verstanden hast. Der es laut ausspricht, Klartext redet. Weil du das selber nicht kannst, du es so nicht fühlen willst.«
    »Was fühlen?«
    »Dass du eine Scheißangst hast, dich an sie zu binden. Dass dich der Gedanke an eine Ehe an den Rand der Panik bringt.«
    »Oh? Warum?«
    »Da ich ja durchaus behaupten kann, dich in all diesen Jahren ein bisschen kennengelernt zu haben, glaube ich sagen zu dürfen, dass es in deinem Fall eher um die Angst vor Verantwortung für andere Menschen geht. Du hast schlechte Erfahrungen damit …«
    Harry schluckte. Spürte einen wachsenden Kloß im Hals, wie eine Krebsgeschwulst.
    »Du beginnst zu trinken, wenn die Welt von dir abhängig ist, weil du nicht damit klarkommst, Verantwortung zu haben. Du willst in diesen Momenten, dass alles den Bach runtergeht. Das ist, als ob du ein Kartenhaus baust und fast am Ziel bist. Der Druck wird so groß, dass du damit nicht mehr klarkommst, und statt weiterzumachen und zu sehen, ob du es schaffst, fegst du die Karten vom Tisch, um die Niederlage vorwegzunehmen. Ich glaube, du verhältst dich jetzt nach genau diesem Muster. Du hast den Wunsch, Rakel so schnell wie möglich zu betrügen, weil du davon überzeugt bist, dass das irgendwann ja doch geschieht. Und um einer langen Qual aus dem Weg zu gehen, handelst du proaktiv und fegst das verdammte Kartenhaus, das für dich deine Beziehung zu Rakel ist, vom Tisch.«
    Harry wollte etwas sagen. Aber der Kloß steckte in seinem Hals fest, so dass er nur ein Wort herausbrachte: »Destruktiv.«
    »Deine Grundhaltung ist konstruktiv, Harry. Du hast bloß Angst. Angst, dass es weh tun könnte. Dir und ihr.«
    »Ich bin feige, ist es das, was du sagen willst?«
    Ståle sah Harry lange an und atmete tief durch, als wollte er ihn korrigieren, schien sich dann aber anders zu besinnen.
    »Ja, du bist feige. Du bist feige, weil ich glaube, dass du das eigentlich willst. Du willst Rakel, du willst mit ihr in einem Boot sitzen, du willst dich an den Mast fesseln, gemeinsam mit ihr das Ziel erreichen oder mit diesem Boot untergehen. So ist das immer mit dir, wenn du erst ein Versprechen gegeben hast, Harry. Wie heißt das noch mal in diesem Lied?«
    Harry murmelte die Worte. »No retreat, baby, no surrender.«
    »Da hast du es, genau das bist du.«
    »Das bin ich«, murmelte Harry leise.
    »Denk darüber nach, und dann reden wir heute Nachmittag noch einmal darüber, nach dem Treffen im Heizungsraum.«
    Harry nickte und stand auf.
    Draußen auf dem Flur saß ein Kerl in Sportklamotten, der seine Füße nicht still halten konnte. Er sah demonstrativ auf die Uhr und warf Harry einen säuerlichen Blick zu.
    Harry ging über die Sporveisgata. Er hatte in der Nacht nicht geschlafen und noch nicht einmal gefrühstückt. Er brauchte etwas und fühlte in sich hinein. Er brauchte einen Drink. Er verdrängte den Gedanken, ging kurz vor dem Bogstadveien in ein Café und bestellte einen dreifachen Espresso. Er kippte ihn an der Bar hinunter und bestellte noch einen. Hörte leises Lachen hinter sich, drehte sich aber nicht um. Den zweiten trank er langsam, während er die Zeitung aufschlug, die auf dem Tresen lag.
    Roger Gjendem spekulierte, dass der Senat in Anbetracht der ungelösten Polizeimorde personelle Konsequenzen im Polizeipräsidium fordern würde.
    Nachdem Ståle Paul Stavnes hereingelassen

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