Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
Arbeitsplatz zu verwechseln, Fräulein Bratt.«
»Jemand hat mir gesagt, du wärst wieder im Gesundheitsamt?«
»Jau. Und wo bist du gerade?«
»In Oslo. Apropos, ich sitze vor einer Liste der Angestellten der Polizeiwache Stovner. Da steht dein Name zusammen mit Mikael Bellman und Truls Berntsen?«
»Das war direkt nach der Polizeischule und auch nur wegen einer Frau, Bratt. Aber was für eine, habe ich dir nie von ihr erzählt?«
»Vermutlich schon.«
»Aber als das vorbei war, war auch meine Zeit in Oslo vorbei.« Er begann zu singen: »Vestland, Vestland über alles …«
»Hans! Als du mit denen zusammengearbeitet hast …«
»Niemand hat mit denen zusammen gearbeitet, Katrine. Entweder man arbeitete für sie oder gegen sie.«
»Truls Berntsen ist suspendiert worden.«
»Das wurde aber auch höchste Zeit. Hat er wieder wen zusammengeschlagen?«
»Zusammengeschlagen? Wieso? Hat es damals Übergriffe gegeben? Gegen Verdächtige?«
»Schlimmer als das, er hat Kollegen verprügelt.«
Katrine spürte, wie sich die kleinen Härchen auf ihrem Arm aufstellten. »Aha? Wen?«
»Jeden, der Bellmans Frau zu nahe kam. Beavis Berntsen war ja in beide Hals über Kopf verliebt.«
»Womit hat er das gemacht?«
»Wie meinst du das denn?«
»Wenn er jemanden verprügelt hat?«
»Woher soll ich das denn wissen? Etwas Hartes, würde ich vermuten. Das sah bei dem jungen Typen aus dem Norden jedenfalls schwer danach aus. Der hatte den Fehler begangen, bei der Weihnachtsfeier etwas zu eng mit Frau Bellman zu tanzen.«
»Was für ein junger Typ aus dem Norden?«
»Wie hieß der noch mal? Lass mich nachdenken. Rune. Nein, Runar. Runar …«
Komm schon, dachte Katrine, während ihre Finger ganz von allein über die Tastatur tanzten.
»Tut mir leid, Katrine, das ist lange her. Vielleicht fällt es mir ja wieder ein, wenn du deinen Oberkörper frei machst?«
»Verlockend«, sagte Katrine. »Aber ich habe es gerade selber herausgefunden, in Stovner war damals nämlich nur ein Runar. Mach’s gut, Hans …«
»Warte! So eine Mammographie muss gar nicht so …«
»Ich muss los, du kranke Seele!«
Sie legte auf. Zwei einfache Klicks auf den Namen, und die Suchmaschine arbeitete, während sie auf den Nachnamen starrte, der ihr irgendwie bekannt vorkam. Wo hatte sie den schon mal gehört? Sie schloss die Augen und murmelte ihn vor sich hin. Der Name war so ungewöhnlich, dass es kaum ein Zufall sein konnte. Sie öffnete die Augen. Die Ergebnisse waren schon da. Es war nicht viel, aber genug. Eine Krankenakte und der Einweisungsbeschluss für den Entzug. Drogen. Mailkorrespondenz zwischen dem Leiter einer Reha und dem Polizeipräsidenten. Überdosis. Aber mehr als das zog sein Foto ihre Aufmerksamkeit auf sich. Dieser klare blaue Blick. Plötzlich wusste sie, wo sie den schon gesehen hatte.
Harry schloss das Haus auf, trat ein, ohne sich die Schuhe auszuziehen, und ging zum Plattenspieler. Er schob die Finger zwischen Waits’ Bad as Me und A Pagan Place , eine Scheibe, die er etwas zögernd an erster Stelle der Waterboys-Platten einsortiert hatte, weil es im Grunde ja eine Digital-Remaster-Ausgabe von 2002 war. Auf jeden Fall war das der sicherste Ort im ganzen Haus. Weder Rakel noch Oleg hatten jemals freiwillig eine Platte in die Hand genommen, auf der Tom Waits oder Mike Scott sang.
Er zog den Schlüssel heraus. Messing, klein und hohl, fast ohne Gewicht. Und trotzdem fühlte er sich so schwer an, dass er seine Hand förmlich zu Boden zog, als er an den Eckschrank trat. Er steckte ihn ins Schlüsselloch und drehte ihn herum. Wartete. Wusste, dass es keinen Weg zurück gab, wenn er den Schrank erst geöffnet hatte, dass er spätestens dann sein Versprechen gebrochen hatte.
Er brauchte Kraft, um die alte Schranktür zu öffnen. Er wusste ganz genau, dass es nur das alte Holz war, das sich zur Wehr setzte, aber trotzdem hörte es sich so an, als käme das Seufzen drinnen aus dem Dunkel. Als verstünde sie, dass sie nun endlich wieder frei war. Frei, um die Hölle zurück auf die Erde zu holen.
Es roch nach Metall und Öl.
Er holte tief Luft. Hatte das Gefühl, die Hand in ein Schlangennest zu schieben. Seine Finger tasteten sich vor, bis sie den kalten Stahl fanden. Er bekam den Reptilienkopf zu fassen und nahm ihn heraus.
Es war eine hässliche Waffe. Sowjetische Ingenieurskunst in brutalster Effektivität, fast so unverwüstlich wie eine Kalaschnikow.
Harry wog die Pistole in der Hand.
Sie war schwer,
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