Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
auf, einen Parkplatz zu finden. Es war einfacher gewesen, die Telefonnummer und Adresse zu finden, die gab es wenigstens im Internet. Aber nachdem sie viermal angerufen hatte, ohne dass sich jemand gemeldet hatte, nicht einmal der Anrufbeantworter, hatte sie ein Auto requiriert und war in die Industrigata in Majorstua gefahren, eine Einbahnstraße mit einem kleinen Lebensmittelladen, ein paar Galerien, mindestens einem Restaurant, einer Rahmenwerkstatt, aber eben ohne Parkplätze.
Katrine fasste einen Entschluss, fuhr langsam auf den Bürgersteig, machte den Motor aus und legte einen Zettel in die Windschutzscheibe, dass sie von der Polizei war. Harry zufolge waren die Knöllchenkleber die Einzigen, die zwischen der Zivilisation und dem totalen Chaos standen, sie würden sich also kaum darum scheren.
Sie ging den gleichen Weg, den sie gekommen war, in Richtung der stylischen Shoppinghysterie des Bogstadveien. Vor einem Haus in der Josefines gate blieb sie stehen. Als sie noch auf der Polizeihochschule gewesen war, war sie hier mal nach einer Party zum Nachspiel gelandet. Einem sogenannten Nachspiel. Angeblichen Nachspiel. Es war okay gewesen. Die Polizeibehörde vermietete hier einfache Wohnungen an PHS -Studenten. Katrine fand auf den Klingelschildern den Namen, nach dem sie suchte, klingelte und wartete, während sie die schlichte Fassade musterte. Dann klingelte sie noch einmal und wartete wieder.
»Keiner da?«
Sie drehte sich um. Lächelte automatisch. Schätzte den Mann auf um die vierzig, vielleicht ein junggebliebener Fünfziger. Groß, keine Glatze, Flanellhemd, Levi’s 501.
»Ich bin hier der Hausmeister.«
»Und ich bin Katrine Bratt, Kommissarin beim Osloer Morddezernat. Ich bin auf der Suche nach Silje Gravseng.«
Er warf einen Blick auf den Ausweis, den sie ihm hinstreckte, und musterte sie beinahe schamlos von Kopf bis Fuß.
»Silje Gravseng, ja«, sagte der Hausmeister. »Sie hat an der PHS aufgehört, sollte also nicht mehr hier wohnen.«
»Aber sie wohnt trotzdem noch hier?«
»Ja. Zimmer 412. Soll ich ihr eine Nachricht zukommen lassen?«
»Ja, gerne. Bitten Sie sie, mich unter dieser Nummer hier anzurufen. Ich möchte mit ihr über Runar Gravseng sprechen, ihren Bruder.«
»Hat er etwas angestellt?«
»Nein. Er sitzt in der geschlossenen Abteilung und hockt dort immer in der Mitte des Raumes, weil er die Wände für Menschen hält, die ihn totschlagen wollen.«
»Oje.«
Katrine nahm ihr Notizbuch heraus und schrieb ihren Namen und ihre Telefonnummer auf. »Sie können ihr auch sagen, dass es um die Polizistenmorde geht.«
»Ja, das scheint sie wirklich zu beschäftigen.«
Katrine hielt mit dem Schreiben inne. »Wie meinen Sie das?«
»Die hat mit den Zeitungsausschnitten über die ermordeten Polizisten ihre Wände tapeziert. Nicht, dass es mich etwas angehen würden, was die Studenten in ihren Zimmern aufhängen, aber das ist schon … ziemlich unheimlich, finden Sie nicht auch?«
Katrine sah ihn an. »Wie war noch gleich Ihr Name?«
»Leif Rødbekk.«
»Hören Sie, Leif. Meinen Sie, dass ich kurz einen Blick in ihr Zimmer werfen könnte? Ich würde gerne diese Ausschnitte sehen.«
»Warum das denn?«
»Wäre es möglich?«
»Klar, wenn Sie mir einen Durchsuchungsbeschluss bringen.«
»Den habe ich nicht …«
»Ich mach doch nur Witze«, sagte er mit einem Grinsen. »Kommen Sie mit.«
Eine Minute später fuhren sie mit dem Aufzug in die vierte Etage.
»Im Mietvertrag steht, dass ich mir Zugang zu den Wohnungen verschaffen darf, solange ich das vorher ankündige. Im Moment sind wir dabei, alle elektrischen Wandheizkörper zu kontrollieren, weil sich an einem letzte Woche angebrannter Staub entzündet hat. Und auch wenn Silje nicht ans Telefon gegangen ist, haben wir zumindest versucht, ihr mitzuteilen, dass wir kurz in ihre Wohnung müssen. Hört sich das für Sie okay an, Frau Kommissarin?« Erneutes Grinsen. Ein Wolfsgrinsen, dachte Katrine. Nicht uncharmant. Ihr Blick wanderte zu seinem Ringfinger. Das glatte Gold war matt. Die Aufzugtüren öffneten sich, und sie folgte ihm über den schmalen Flur, bis er vor einer der blauen Türen stehen blieb.
Er klopfte an und wartete. Klopfte noch einmal. Wartete.
»Dann gehen wir rein«, sagte er und drehte den Schlüssel im Schloss herum.
»Sie sind wirklich sehr hilfsbereit, Rødbekk.«
»Leif. Das mache ich doch gerne, schließlich komme ich nicht jeden Tag in Tuchfühlung mit einer so …« Er öffnete die Tür
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