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Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)

Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)

Titel: Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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dieses Mal haben wolltest, sondern gleich drauflosschnitten. Sie fragten nicht, ob sie deine fettigen Haare erst waschen sollten, sondern benetzten sie bloß mit Wasser aus einer Sprayflasche, überhörten mögliche Instruktionen und fuhrwerkten mit Kamm und Schere, als nähmen sie an der australischen Schafschermeisterschaft teil.
    Truls sah auf die Titelseite der Zeitung, die auf der Ablage vor dem Spiegel lag. Es war der immer gleiche Refrain: Welches Motiv hatte der sogenannte Polizeischlächter? Die meisten Spekulationen konzentrierten sich auf einen Verrückten, der die Polizei hasste, oder auf einen extremen Anarchisten. Einige brachten ausländische Terroristen ins Spiel, aber die bekannten sich in der Regel zu ihren Taten, was hier nicht der Fall war. Keiner bezweifelte, dass die beiden Morde zusammenhingen, Tatort und Daten sprachen dafür eine viel zu deutliche Sprache. Eine Zeitlang suchte die Polizei nach einem Kriminellen, der sowohl von Vennesla als auch von Nilsen verhaftet, verhört oder irgendwie sonst gekränkt worden war. Aber es gab keine solche Verbindung. Dann hatte man eine Weile mit der Theorie gearbeitet, dass der Mord an Vennesla die Tat eines Einzelnen war, der sich für eine Verhaftung gerächt oder ihn vielleicht aus Eifersucht, Gier oder einem anderen, ganz normalen Motiv ermordet hatte. Und dass der Mord an Nilsen von einem anderen Täter begangen worden war, der aber so klug gewesen war, den Mord an Vennesla zu kopieren, damit die Polizei sich mit ihren Ermittlungen auf einen Serienmörder konzentrierte und gar nicht erst an den naheliegenden Orten suchte. Die Polizei hatte die Morde entgegen allen Erwartungen tatsächlich erst einmal wie zwei unabhängige Fälle untersucht und im persönlichen Umfeld der Opfer ermittelt, ohne etwas zu finden.
    Danach war man wieder an den Ausgangspunkt zurückgekehrt. Ein Polizistenmörder. Die Presse war ihnen gefolgt und hatte weiter gebohrt und Fragen gestellt: Warum gelingt es der Polizei nicht, die Person zu finden, die zwei ihrer Kollegen auf dem Gewissen hat?
    Truls spürte sowohl Zufriedenheit als auch Wut, wenn er diese Überschriften las. Mikael hatte bestimmt gehofft, dass die Presse ihren Fokus auf andere Dinge richten und die Morde vergessen würde, wenn erst einmal die Weihnachtszeit und das neue Jahr kamen. Aber sie ließen ihn nicht in Frieden, er durfte nicht einfach der neue, forsche Sheriff der Stadt sein, the whiz kid , der Wächter der Stadt. Aber ebenso wenig durfte er derjenige sein, der die Sache verbockte und mit Verlierermiene im Blitzlichtgewitter resignierte Untauglichkeit ausstrahlte.
    Truls brauchte die Zeitungen nicht aufzuschlagen, er hatte sie zu Hause gelesen und laut über Mikaels unschlüssige Äußerungen über den Stand der Ermittlungen gelacht. »Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich dazu keine Stellung nehmen …« – »Es gibt keine Hinweise, dass …« Diese Phrasen stammten aus Bjerknes und Hoff-Johansens Lehrbuch Ermittlungsmethoden , genauer gesagt aus dem Kapitel »Umgang mit den Medien«. Das Buch war Pflichtlektüre auf der Polizeischule, und diese aussagefreien Sätze wurden darin empfohlen, um die Journalisten nicht mit »kein Kommentar« abspeisen zu müssen. Ganz generell wurde den Beamten ans Herz gelegt, Adjektive möglichst zu vermeiden.
    Truls hatte auf den Bildern nach dem verzweifelten Gesichtsausdruck gesucht, den Mikael immer bekommen hatte, wenn die größeren Jungs aus der Nachbarschaft in Manglerud zu dem Schluss gekommen waren, dass es an der Zeit war, diesem ach so hübschen Aufschneider mal wieder die Fresse zu polieren, und er Hilfe brauchte. Truls’ Hilfe. Und natürlich war Truls zur Stelle gewesen und hatte sich grün und blau schlagen lassen, während Mikael immer unverletzt und hübsch geblieben war. Hübsch genug für Ulla.
    »Nicht zu viel abschneiden«, sagte Truls und sah die Haare von seiner blassen, hohen, leicht vorgewölbten Stirn fallen. Diese Stirn und sein kräftiger Unterbiss waren der Grund, dass er häufig als dumm eingestuft wurde. Eine Tatsache, die manchmal von Vorteil war. Manchmal. Er schloss die Augen. Versuchte sich zu entscheiden, ob in Mikaels Blick tatsächlich Verzweiflung gelegen hatte oder ob er sich das nur wünschte.
    Quarantäne. Suspendierung. Ausweisung. Abweisung.
    Sein Gehalt bekam er noch immer. Mikael hatte sein Bedauern ausgedrückt, hatte ihm eine Hand auf die Schulter gelegt und gesagt, dass es zum Besten aller sei, auch zu Truls’ Bestem.

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