Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
können.«
Hagen schluckte. Würgte hinunter, was er am liebsten gesagt hätte. Dass er schon auf der Offiziersschule Führungstechniken gelehrt hatte, als Bellman noch mit Knallerbsen spielte. Wenn Bellman so verdammt gut darin war, seine Untergebenen zu motivieren, warum motivierte er dann nicht auch ihn – Gunnar Hagen – ein bisschen? Aber die Worte runterzuschlucken, die Bellman am wenigsten hören wollte, war er dann doch zu müde und frustriert.
»Wir hatten Erfolg mit der unabhängigen Gruppe, die Harry Hole geleitet hat, erinnerst du dich? Die Morde in Ustaoset wären nicht aufgeklärt worden, wenn …«
»Ich denke, du hast mich gehört, Hagen. Eher würde ich über eine neue Ermittlungsleitung nachdenken. Als Chef ist man für das Vorgehen seiner Mitarbeiter verantwortlich, und das scheint mir im Augenblick nicht mehr wirklich ergebnisorientiert zu sein. Wenn es sonst nichts mehr gibt, hätte ich gleich eine andere Sitzung.«
Hagen traute seinen Ohren nicht. Er stand mit steifen Beinen auf, als wären sie auf dem niedrigen Stuhl eingeschlafen, und stolperte zur Tür.
»Übrigens«, sagte Bellman hinter ihm, und er hörte, wie dieser ein Gähnen unterdrückte. »Irgendwelche Neuigkeiten im Gusto-Fall?«
»Wie du selbst gesagt hast«, erwiderte Hagen, ohne sich umzudrehen, und ging weiter zur Tür, damit Bellman nicht mitbekam, wie sehr die Adern an seinen Schläfen pochten. »Diese Sache hat keine Priorität mehr.«
Mikael Bellman wartete, bis die Tür ins Schloss gefallen war und er hörte, wie sich der Dezernatsleiter im Vorzimmer verabschiedete. Dann ließ er sich auf den ledernen Bürosessel mit der hohen Lehne fallen und sackte in sich zusammen. Er hatte Hagen nicht zu sich gerufen, um sich nach den Polizistenmorden zu erkundigen, und er fürchtete, dass Hagen das mitbekommen hatte. Der Grund war der Anruf von Isabelle Skøyen gewesen, den er vor einer Stunde erhalten hatte. Natürlich hatte sie wieder in die Kerbe gehauen, dass ein paar unaufgeklärte Polizistenmorde sie beide als untauglich und schwach dastehen ließen. Und dass sie, im Gegensatz zu ihm, von den Stimmen der Wähler abhängig war. Er hatte ihr ausweichend geantwortet und darauf gewartet, dass sie endlich fertig war, als sie schließlich die Bombe hatte platzen lassen.
»Er wacht langsam auf.«
Bellman hatte die Ellenbogen auf den Tisch gestemmt und den Kopf in die Hände gestützt. Er starrte auf den glänzenden Lack des Schreibtisches, in dem seine Konturen sich verzerrt spiegelten. Frauen fanden ihn schön. Und Isabelle hatte klipp und klar ausgesprochen, das Ganze liefe nur, weil sie schöne Männer liebte. Deshalb hatte sie auch Sex mit Gusto gehabt. Diesem bildhübschen Jungen. Elvishübsch. Männer verstanden es oft falsch, wenn Männer hübsch waren. Mikael dachte an den Typen im Kriminalamt, der versucht hatte, ihn zu küssen. Er dachte an Isabelle. Und an Gusto. Und stellte sich die beiden zusammen vor. Sie drei. Er stand abrupt von seinem Stuhl auf und trat wieder ans Fenster.
Es sei in die Gänge geleitet, hatte sie gesagt. In die Gänge geleitet . Jetzt brauchte er nur noch zu warten. Eigentlich hätte ihn das ruhiger machen sollen, offener und freundlicher seiner Umgebung gegenüber. Doch wieso hatte er dann Hagen das Messer in die Eingeweide gestoßen und die Klinge mehrmals umgedreht? Um ihn zappeln zu sehen? Um ein anderes gequältes Gesicht zu sehen, das ebenso leidend aussah wie sein Spiegelbild auf der Tischplatte? Bald hatte das Elend ein Ende. Jetzt lag alles in ihren Händen. Und wenn das, was getan werden musste, erledigt war, konnten sie weitermachen wie bisher. Dann konnten sie Asajev, Gusto und auf jeden Fall den, über den anscheinend niemand zu reden aufhören konnte, vergessen. Harry Hole. Jeder ging irgendwann ins große Buch des Vergessens ein, so war das einfach, und so würde es irgendwann auch mit den Polizistenmorden sein.
Alles war wie immer.
Mikael Bellman wollte in seinem Inneren nachspüren, ob er das auch wirklich alles wollte, aber er entschied sich dagegen. Natürlich wollte er das.
Kapitel 7
S tåle Aune holte tief Luft. Er stand an einem dieser Scheidewege, die es in jeder Therapie gab, einem Punkt, an dem man eine Wahl treffen musste.
»Ist es denkbar, dass es in Ihrer Sexualität etwas Unerfülltes gibt?«, fragte er, eine der beiden Alternativen wählend.
Der Patient sah ihn an und lächelte dünn und mit schmalen Augen. Seine schlanken Hände mit den ungewöhnlich
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