Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
Länge gezogen und es hat sich eine Menge Material angesammelt.«
»Eine Riesenmenge, da hast du recht. Und es stimmt natürlich, dass sich keiner daran erinnern kann, wie genau bei den Ermittlungen vorgegangen worden ist. Aber alle offiziell Verhörten sind selbstverständlich im Strasak-Archiv vermerkt.«
»Genau darum geht’s«, sagte Katrine.
»Wie meinst du das?«
»Wenn Leute von außen zum Verhör geholt werden, registriert man sie und archiviert das Verhör dann bei den entsprechenden Fallunterlagen. Es kommt aber auch vor, dass bestimmte Dinge zwischen den Stühlen landen. Zum Beispiel, wenn der zu Verhörende bereits im Gefängnis sitzt. Dann kommt es vor, dass das Verhör inoffiziell in seiner Zelle abgehalten und die Person nicht registriert wird, weil wir ja bereits eine Akte von ihr haben.«
»Aber die Verhörprotokolle werden dann trotzdem in den Fallunterlagen archiviert.«
»Normalerweise, ja. Aber nicht, wenn sich dieses Verhör primär um eine andere Sache dreht, zum Beispiel um einen Fall, bei dem diese Person der Hauptverdächtige ist. Zum Beispiel, wenn die Vergewaltigung im Maridalen nur Teil des Verhörs oder bloß ein routinemäßiger Longshot war. Dann wird das ganze Verhör unter dem Hauptfall archiviert, mit der Folge, dass eine Recherche innerhalb des anderen Falls ergebnislos bleibt, was diese Person angeht.«
»Interessant. Und was hast du gefunden?«
»Einen Mann, der als Hauptverdächtiger wegen einer Vergewaltigung in Ålesund verhört wurde, während er eine Strafe wegen Körperverletzung und versuchter Vergewaltigung in einem Hotel in Otta an einem minderjährigen Mädchen verbüßt hat. Während des Verhörs wurde er zwar auch zu der Vergewaltigung im Maridalen verhört, archiviert wurde das Verhör dann aber unter dem Fall in Otta. Das Interessante ist, dass dieser Mann auch zu dem Fall am Tryvann befragt worden ist.«
»Und?« Zum ersten Mal hörte sie Anzeichen echten Interesses in Hagens Stimme.
»Er hatte ein Alibi für alle drei Fälle«, sagte Katrine und spürte förmlich, wie die Luft aus dem Ballon entwich, den sie für ihn aufgeblasen hatte.
»Na dann. Hast du sonst noch irgendwelche amüsanten Geschichten aus Bergen zu berichten, die ich unbedingt hören muss?«
»Es gibt noch mehr«, sagte Katrine.
»Ich habe jetzt gleich eine Sitz…«
»Ich habe mir das Alibi des Mannes genauer angesehen. Ein und dieselbe Zeugin hat in allen drei Fällen bestätigt, dass er zu Hause in ihrer WG war. Die junge Frau wurde damals als glaubwürdige Zeugin eingeschätzt. Sie hatte keine Akte, und ihre einzige Verbindung zu dem Mann war, dass sie in derselben Wohngemeinschaft wohnte. Aber wenn man ihren Namen weiterverfolgt, findet man interessante Dinge.«
»Was?«
»Unterschlagung, Drogenhandel und Dokumentenfälschung. Und schaut man sich die Verhöre an, die später mit ihr geführt worden sind, tauchen immer wieder die gleichen Sachen auf. Rat mal, was.«
»Falschaussagen?«
»Leider nutzt man solche Erkenntnisse nur selten, um sich auch noch mal frühere Sachen vorzunehmen, dabei könnte das ein ganz neues Licht auf so manches werfen. Aber wenn die Ereignisse so weit zurückliegen wie die Verbrechen im Maridalen und am Tryvann, passiert das nie.«
»Katrine, verdammt, wie heißt die Frau?« Plötzlich war wieder Glut in seiner Stimme.
»Irja Jacobsen.«
»Hast du auch eine Adresse?«
»Ja, man findet sie sowohl im Strafregister als auch beim Einwohnermeldeamt und in verschiedenen anderen Verzeichnissen …«
»Mensch, mit der müssen wir reden!«
»… unter anderem in dem Verzeichnis der vermissten Personen.«
Auf der Osloer Seite der Leitung war es lange still. Katrine wollte einen langen Spaziergang runter zu den Fischerbooten in Bryggen machen, sich eine Tüte Dorschköpfe kaufen und dann zurück in ihre Wohnung in Møhlenpris gehen, um sich in aller Ruhe ein Essen zu kochen und Breaking Bad zu schauen, während es draußen hoffentlich wieder zu regnen begann.
»Okay«, sagte Hagen. »Aber du hast uns auf jeden Fall einen Ansatzpunkt gegeben. Wie heißt der Typ?«
»Valentin Gjertsen.«
»Und wo ist er?«
»Genau darum geht’s«, sagte Katrine Bratt und bemerkte, dass sie sich wiederholte. Ihre Finger trommelten auf die Tastatur. »Ich finde ihn nicht.«
»Wird er auch vermisst?«
»Er ist nie vermisst gemeldet worden, was merkwürdig ist, weil er wie vom Erdboden verschluckt ist. Keine bekannte Adresse, keine Telefonregistrierung, keine
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