Komm, dunkle Nacht
war ein Jahr alt, als er mir in der Ausbildungsstaffel der ATF auffiel.« Sie lächelte, als sie sich daran erinnerte. »Er hatte die Schule für Blindenhunde nicht bestanden und die ATF hatte ihn übernommen.«
»Durchgefallen?«
»Nicht, weil es ihm an Grips fehlte«, sagte sie, ihren Hund in Schutz nehmend. »Aber er ließ sich leicht ablenken und das hätte gefährlich werden können.«
»Konzentrationsstörungen?«
»Es liegt an seiner Nase. Er war damals noch ein Welpe und sein Geruchssinn ist wahrscheinlich der schärfste, der der ATF
jemals untergekommen ist. Wenn er dauernd mit Gerüchen bombardiert wird, ist es doch klar, dass er sich irgendwann ablenken lässt.«
Er hob die Hände. »Ich wollte Ihren Hund nicht beleidigen.
Ich habe große Hochachtung vor Hunden. Ich habe sie unter Gefechtsbedingungen im Einsatz gesehen und als Partner wäre mir ein Hund lieber als jeder Zweibeiner.«
»Entschuldigung. Ich habe wohl überreagiert. Leg dich auf den Rücken, Monty.« Sie begann, ihm das Bauchhaar zu schneiden.
»Ist das ein englischer Akzent, den Sie haben?«
»Ich bin in Liverpool geboren und aufgewachsen.«
»Logan hat erzählt, Sie hätten sich vor Jahren in Japan kennen gelernt.«
Er nickte. »Als wir beide noch jung und grün waren. Na ja, jünger und grüner als heute. Natürlich war ich schon damals eisenhart und Logan war auch kein Schmusekätzchen, schon als Chen Li noch lebte.«
»Chen was?«
»Seine Frau. Sie starb an Leukämie, einige Jahre nachdem ich Logan kennen gelernt hatte. Kein leichter Tod und auch für ihn war es nicht leicht. Er hat sie sehr geliebt.«
Persönliche Probleme. Ja, das konnte man wohl als persönliches Problem bezeichnen. Sie wünschte, sie hätte nicht nach seiner Vergangenheit gefragt. Auch er hatte also schon eine Tragödie erlebt. Wie die meisten Menschen. Sie hatte jedenfalls nicht vor, ihn zu bemitleiden.
»Ich bin sicher, er konnte damit umgehen.«
»Ja, er hat es überwunden.« Galen wusch den letzten Teller ab.
»Zuerst hat er sich benommen wie ein Verrückter, aber mit der Zeit sind die Wunden vernarbt. Wir haben uns ein Jahr lang in der Südsee herumgetrieben, dann ist er nach Tokio zurückgekehrt.«
»War das die Zeit, in der Sie ihm die Maden serviert haben?«
Er lächelte. »Nein, das war später. Als er die Sache einigermaßen überwunden hatte. Im ersten Jahr nach Chen Lis Tod hätte er mir für einen solchen Scherz den Kopf abgerissen.«
Er betrachtete Monty. »So nackt sieht er aus wie ein großer, gelber Bär.«
»Na, jedenfalls ist ihm jetzt ein bisschen kühler.«
Sie hockte sich nieder und begann, das abgeschnittene Haar vom Boden aufzusammeln. »Ich frage mich, wo Logan bleibt.
Hätte er nicht längst zurück sein sollen?«
»Vielleicht ist er zu den Ruinen gegangen.« Er runzelte die Stirn. »Schrecklich. Die haben nichts Böses geahnt, als sie von Rudzak überrascht wurden.«
Ihr lief ein Schauder über den Rücken. »Warum sollte er dort hingehen?«
»Ist er vielleicht nicht. Aber ich würde doch drauf wetten. Es macht ihm schwer zu schaffen, was dort passiert ist. Vielleicht versucht er noch immer, es zu begreifen.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Logan so sensibel ist.«
»Nun ja, vielleicht wollen Sie ihn nicht so sehen.« Er trocknete sich die Hände ab. »Na egal. Mir geht dieses ganze bedeutsame Geschwätz auf den Geist. Meine seichte Seele ist auf so viel Tiefgang nicht eingestellt. Ich brauche ein wenig geistlose Zerstreuung, ehe ich in die Falle gehe. Spielen Sie Poker?«
»Warum wollten Sie das noch mal sehen?« Castleton schluckte, während er sich in den verkohlten Ruinen umsah. »Gott, mir fällt das wahrhaftig nicht leicht. Wir werden nichts finden. Wie ich Ihnen gesagt habe, ich habe jedes Beweisstück gerettet, das nicht zerstört wurde. Ich habe nicht geschludert, Logan.«
»Ich glaube Ihnen. Ich weiß, wie sorgfältig Sie sind.«
Ohne zu Castleton aufzublicken, griff er nach einem angekohlten Holzkasten, der am Boden zwischen den Trümmern lag. »Was, glauben Sie, war da drin?«
»Weiß nicht. Disketten vielleicht.«
Logan schwieg einen Augenblick. »Vier Tote. Carl Jenkins.
Betty Krenski, Dorothy Desmond, Bob Simms. Wussten Sie, dass Betty Krenski versucht hat, ein HIV-infiziertes Baby aus einem südafrikanischen Waisenhaus zu adoptieren?«
»Ja, aber ich wusste nicht, dass Sie es wissen.«
»Sie bat mich um Hilfe. Sie meinte, irgendwer müsse sich doch um diese Kinder kümmern.
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