Komm mit mir nach Kreta
gewesen war, als er erfuhr, dass der erste Test positiv ausgefallen war. In Hochstimmung war er mit ihr zur Knochenmarksentnahme ins Krankenhaus gefahren, und mit seiner Begeisterung hatte er Sophie über ihre Angst vor dem Eingriff hinweggeholfen. Jetzt, während er auf das Ergebnis wartete, sah sie ihn erneut von Zweifeln gequält. Sophie hatte beobachtet, wie sanft und liebevoll er mit Eleni umging, und sie wünschte sich, er würde auch ihr ein wenig von dieser Zuwendung schenken.
Ihr Feingefühl sagte Sophie, dass sie von einem Mann, der vor Kurzem seine Frau verloren hatte und dessen Tochter mit dem Tode kämpfte, kaum etwas erwarten konnte. Aber Sophie wollte mehr.
In den vergangenen Tagen hatte sie sich der Hoffnung hingegeben, dass sich etwas … Tiefergehendes zwischen Costas und ihr entwickelte. Jeden Tag, während Eleni ihren Mittagsschlaf hielt, fuhr Costas mit Sophie los und zeigte ihr die Gegend. Die Ausflüge waren eine Quelle freudiger Erwartungen und großer Enttäuschungen. Manchmal fühlte sich Sophie mit Costas so verbunden wie noch nie zuvor mit irgendeinem Menschen. Zwischen ihnen herrschte eine ganz besondere Harmonie, die ihr Herz höher schlagen ließ und die Traurigkeit verdrängen konnte. Und plötzlich, von einem Moment zum anderen, war alles vorbei. Dann spürte Sophie, wie sich Costas in sich selbst zurückzog. Und ihr Eindruck, dass sie sich immer besser miteinander verstanden, schien ein Trugschluss zu sein.
Nur die erotische Anziehungskraft war immer da. Sophie konnte nicht mehr klar denken, wenn er unvermittelt sehnsüchtig den Blick über sie gleiten ließ oder so nahe rückte, dass sie seinen Duft einatmete. Nichts hatte sie darauf vorbereitet. Die Gefühle in ihrer bisher einzigen intimen Beziehung waren nicht einmal ein schwacher Abglanz der intensiven Empfindungen, die Costas in ihr weckte, sobald er sie auch nur ansah.
Noch immer stand Costas regungslos da und betrachtete den Berg. Abrupt wandte sich Sophie ab. Sie wollte sich ablenken, versuchte sich vorzustellen, wie das antike Phaistos wohl als florierende Stadt ausgesehen haben mochte. Aber die Ruinen vor ihr blieben unbewegliche Überbleibsel von Steinfundamenten. Bei Weitem nicht so faszinierend wie der Mann neben ihr.
„Hast du noch einmal an deinen Großvater gedacht?“, fragte Costas plötzlich.
Sophie wandte sich ihm wieder zu und nickte. Natürlich. Wie konnte sie nicht an ihn denken, wo er doch so nahe war, hier auf dieser Insel.
„Aber du bist nicht bereit, die Fehde zu beenden?“
„Es war seine Fehde, nicht meine!“ Sophie fühlte die alte Wut in sich aufsteigen. „Sie zu beenden wäre seine Sache gewesen. Und ich habe es versucht, erinnerst du dich? Ich habe ihn angerufen und niemals eine Antwort bekommen.“
„Ich glaube, er will sie beilegen. Nach Ansicht der Haushälterin hatte Petros Liakos vor, deine Mutter anzurufen.“
„Du meinst, das behauptet er neuerdings?“ Jetzt, da er derjenige war, der einsam in einem Krankenbett lag, sah er die Dinge wohl mit anderen Augen.
„Nein. Er hat nicht darüber gesprochen. Aber die Haushälterin hat ihm von deinem Anruf erzählt, und daraufhin sollte sie ihm den Brief deiner Mutter bringen. Nach ihrem ersten Schreiben hatte er seinen Angestellten befohlen, ihm keine Post von deiner Mutter mehr auszuhändigen, sondern sie beiseitezulegen.“
„Gefühlloser Mistkerl“, murmelte Sophie. Ihre Mutter hatte ihm jedes Jahr am Geburtstag ihrer Tochter einen Brief mit einem Foto geschickt.
„Er hat wohl nicht damit gerechnet, dass sie immer wieder geschrieben hatte. Anscheinend war er erschüttert darüber, wie viele Briefe es gewesen sind. Die Haushälterin hat deinem Großvater alle gebracht und ihn im Arbeitszimmer zurückgelassen, damit er sie in Ruhe lesen konnte. Als sie später zurückgekehrt ist, war er über dem Schreibtisch zusammengebrochen, den Arm nach dem Telefon ausgestreckt. Auf dem Fußboden lagen Briefe und Fotos.“
„Glaubst du, das hat seinen Schlaganfall ausgelöst?“
„Ich habe keine Ahnung“, sagte Costas. „Aber ich dach te, du solltest es wissen.“
„Danke.“ Falls ihr Großvater wirklich versucht hatte anzurufen, war es tragisch, dass es ihm nicht mehr gelungen war. Für ihre Mutter und für ihn. Sophie stand auf und machte einige unsichere Schritte. Was Costas ihr gerade erzählt hatte, bestürzte sie. Aber es änderte nichts an der Tatsache, dass ihr Großvater ein arroganter despotischer Mann war und
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