Komm, spiel mit mir: Thriller (German Edition)
zurückgelassen, im See? Ist sie da?
Sie kauft sich an einem Kiosk einen Kaffee und setzt sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf eine Bank. Wirft beiläufig Blicke zu den Fenstern im ersten Stock hinauf. Der Postbote kommt, bleibt vor dem Haus stehen und verteilt die Sendungen auf die Briefkästen.
Keine Autos vor dem Haus. Hier wohnen wohl kaum Familien mit Kindern; die Apartments entsprechen eher den Bedürfnissen von kinderlosen Ehepaaren und Singles, die den ganzen Tag bei der Arbeit sind. Andererseits gibt es in Wanaka viele Schichtarbeiter. Vielleicht ist doch irgendjemand zu Hause und schläft oder sieht fern; sie könnte entdeckt werden. Stephanie trinkt einen Schluck und verbrennt sich mit dem brühend heißen Kaffee den Mund.
Um Himmels willen, Stephanie, was hast du vor? Du erwägst ernsthaft, einen Einbruch zu begehen?
Aber wenn sie irgendwie in seine Wohnung hineinkäme, würde sie vielleicht Beweise finden. Dann könnte sie zur Polizei gehen und Dave alles erzählen. O Gott, alles wäre so viel einfacher, wenn ein anderer sich darum kümmern würde.
Sie überquert die Straße. Sie schlendert am Haus vorbei und lässt den Blick über die nummerierten Briefkästen schweifen. Keine Namensschilder. Wie würde sie auf einen zufälligen Beobachter wirken, wenn sie sich an den Briefkästen zu schaffen machte, um in fremder Leute Post zu wühlen? Nein, das ist ausgeschlossen.
Sie läuft zum See hinunter, über den Parkplatz und den Grasstreifen bis zu den glänzenden Kieselsteinen.
Über das Gras und die groben Steine am Ufer, an den Kiefern vorbei in die Umkleiden, wo ihr Name von den tristen, nackten Betonwänden widerhallt.
Gemma Gemma Gemma Gemma Gemma.
Meine Schwester. Meine kleine Schwester.
Minnas aschfahles Gesicht es tut mir leid, Dave, es tut mir so leid.
Dave nahm sie mit ins Krankenhaus, Stephanie und Liam und Jonny. Greg lag in einem Stubenwagen am Fußende von Minnas Bett. Sie blätterte in einer Zeitschrift. Sie sah ihn nicht an, hob ihn nicht nicht heraus, als er jene Schniefgeräusche machte, auf die ein Weinen folgt.
Wie findet ihr euren Bruder? Ist er nicht süß? Wollt ihr ihn mal auf den Arm nehmen?
Sie sagte, was von ihr erwartet wurde, aber ihr Blick war leer.
Stephanie gab Minna keinen Begrüßungskuss und vermied es, ihr in die Augen zu sehen. Sie hielt Abstand und blieb neben der Tür stehen. Sie stellte sich nicht zu Jonny und Liam, um in den Stubenwagen zu schauen. Sie wollte Dave und Minna zeigen, dass sie sie dafür hasste, und das Baby hasste sie auch. Am meisten hasste sie Minna es ist so, als hättest du eine Puppe verloren und dir einfach eine neue gekauft.
Damals war sie noch ein Kind. Heute ist sie erwachsen und hatte beruflich mit Frauen zu tun, die ihre Kinder misshandelt haben; diesen Frauen hat sie mehr Mitgefühl entgegengebracht, als sie je für Minna übrig hatte. Sie hat den Beichten gelauscht und Trost gespendet ist schon in Ordnung, das Schlimmste haben Sie hinter sich, Sie waren sehr mutig, ist schon gut. Wie hat Minna jene Jahre überstanden? Woran hat sie gedacht, wenn sie nachts wach lag?
Damals. Damals, in ihrem alten Zuhause. Man konnte nicht raus, man konnte es nicht mal riskieren, einen Blick durch die zugezogenen Vorhänge zu werfen. Man war eingesperrt. Man konnte nicht raus.
Sie muss es wissen.
Stephanie macht kehrt. Sie betritt ein Café, bestellt einen Kaffee und einen Muffin, starrt aus dem Fenster. Auf dem Fensterbrett liegen Flyer. Sie nimmt einen in die Hand, liest. Am Wochenende findet im Park ein Rockkonzert statt. Stephanie nimmt den ganzen Stapel und lässt ihn in ihrer Tasche verschwinden.
Sie geht durch die Straße und wirft einen Flyer in jeden Briefkasten, bis sie sein Wohnhaus erreicht hat. Sie steht direkt davor. Sie beugt sich zu den Briefkästen hinunter. Während sie in jeden einzelnen einen Flyer steckt, erhascht sie einen Blick auf die Namen. Apartment eins, C. Benson. Apartment zwei, leer. Drei: Sandra Armitage. Vier: leer. Fünf: R. Gosling und P. Donaldson. Sechs: Andrew Whittaker. Sie richtet sich auf und geht weiter. War sie überzeugend? Sieht sie aus wie eine Austrägerin? Sie möchte wegrennen. Sie möchte hysterisch kichern.
Geheimagentin Doktor Stephanie.
Es kommen nur die Apartments zwei und vier in Frage. Sie dreht um, läuft zum Haus zurück und huscht in die Einfahrt. Wird sie beobachtet? Weiter, immer weitergehen. Sie steht vor der Eingangstür und wirft einen Blick in den Hausflur.
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