Komm, spiel mit mir: Thriller (German Edition)
Leben gerettet.
Wurde mit dem Rettungswagen ins städtische Krankenhaus gebracht. Die ärztliche Untersuchung ergab, dass sie vor kurzem eine Abtreibung vorgenommen hatte. Verheiratet, kinderlos. Keine Anzeichen für eine psychische Vorerkrankung, obwohl es in der Familie Fälle von Depression gegeben haben soll. Das erste Gespräch nach der Einlieferung: Patientin reagiert nicht auf Ansprache. Und auch in den Wochen danach: Patientin reagiert nicht auf Ansprache. Die zuständige Psychiaterin diagnostizierte eine klinische Depression.
Also verordnete man ihr Bettruhe und beobachtete sie weiter. Man gab ihr Apropax und, als das nicht half, Mirtazapin. Wenn sie nicht reden wollte, würde man sie nicht dazu zwingen. Es ging auch gar nicht anders, da waren zu viele andere Patienten, die Zeit in Anspruch nahmen. Man gab ihr Medikamente, experimentierte an der Dosierung herum, hoffte auf das Beste.
Während der ersten beiden Wochen weigerte sie sich, Besucher zu empfangen. Patientin zieht sich zurück. In der dritten Woche ließ man ihren Vater und ihren Ehemann zu ihr. Nach dem Besuch bewarf sie die Pflegerinnen mit ihrem Abendessen. Eine Krankenschwester erwischte sie dabei, wie sie Handtücher zu einer Schlinge zusammenknotete. Danach verweigerte sie sich allen weiteren Gesprächsversuchen; drei Mal versuchte sie, die Station zu verlassen, ein Mal verletzte sie sich mit einem Besteckmesser am Handgelenk. Man hatte die Familie bereits über die Möglichkeit der Zwangseinweisung informiert für den Fall, dass die Patientin sich weiterhin selbst gefährdete.
Stephanie liest sich noch einmal den Brief des Vaters durch. Meine Frau litt jahrelang an Depressionen und war deswegen auch mehrfach stationär in Behandlung. Letztendlich haben wir sie unter tragischen Umständen verloren. Ich vertraue Ihrer Institution meine Tochter an in der Hoffnung, dass sie die Hilfe bekommt, die meiner Frau, im Nachhinein betrachtet, vielleicht schon zu Anfang ihrer Erkrankung hätte zukommen sollen. Elisabeth war immer ein starkes, selbstbewusstes Mädchen. Sie und ihr Mann Peter haben erst vor kurzem erfahren, dass sie zum ersten Mal Eltern werden, und sie war scheinbar überglücklich, ein Baby zu bekommen. Peter kann so wie der Rest der Familie nicht begreifen, wie es so weit kommen konnte.
Tragische Umstände?
Stephanie macht sich Notizen. War schwanger. Hormone? Eher unwahrscheinlich, aber nicht auszuschließen. Sie liest den Brief bis zum Ende. Ich schreibe diesen Brief, weil wir als Familie beteiligt werden wollen, was die Entscheidungen bezüglich Elisabeths Behandlung und Pflege betrifft. Wir legen großen Wert darauf, mit einbezogen zu werden.
Was, wenn Elisabeth gerade das nicht möchte? Was, wenn die Familie ein Teil des Problems ist? Stephanie hat Patienten erlebt, die an der Einmischung der Familie zugrunge gingen. Sie fangen an zu reagieren, sie blühen auf, es folgt der erste Familienbesuch, und sie verschließen sich wieder. Stephanie sammelt die Unterlagen ein und legt sie in die Mappe zurück. Sie nimmt sich die nächste Akte vor. Cameron Foster. Cam. Er ist wieder da. Netter Junge; sanft, sensibel. Zu sensibel. Es ist ihm wieder einmal zu viel geworden; er ritzt sich wieder.
Um zehn findet wie jeden Tag die Stationskonferenz statt. Dieses Routinetreffen, die Einbeziehung aller macht eine der Stärken der Klinik aus. Die Patienten stehen alle zur selben Zeit auf, duschen, frühstücken und versammeln sich zur Stationskonferenz, um danach ihren freiwilligen Arbeitsaufgaben nachzugehen. Es sei denn, ihnen wurde Bettruhe verordnet.
Alle warten im Gemeinschaftsraum. Heute sind etwa fünfzehn Patienten erschienen. Stephanie nimmt leise im Stuhlkreis Platz. Sie ist hauptsächlich hier, um zu beobachten, nur im Notfall greift sie ein. Die Stationskonferenz wird täglich von einem anderen Patienten geleitet, jeder kommt an die Reihe. Stephanie lächelt Will Ryan zu. An diesem Morgen ist er der diensthabende Pfleger.
Rowan Aitcheson leitet die Zusammenkunft. Stephanie macht sich innerlich bereit. An ihren guten Tagen könnte man Rowan als »wenig konfliktscheu« bezeichnen; sie hockt im Schneidersitz auf ihrem Stuhl und hat ein kampflustiges Gesicht aufgesetzt. Sie hat ein Hühnchen zu rupfen. Sie wird das Treffen nutzen, um jemanden anzugreifen, da ist Stephanie sich sicher.
»Okay«, sagt Rowan, »wir fangen mit dem Gefühlszirkel an. Jenny, du bist dran.«
Stephanie wirft einen Blick zu Jenny hinüber. Die wiederum
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