Komm, spiel mit mir: Thriller (German Edition)
Namen gerufen. Tracy, oder so ähnlich. Sie hat gesagt, sie wolle zu Tracy.«
»Tracy?«
»Mmh. Aber wie ich schon sagte, du solltest dich ausruhen und dir das Ganze nicht so zu Herzen nehmen.«
»Hallo, Elisabeth.«
Der leere, misstrauische Blick. Das langsame Zukneifen der Augen, die Drehung zur Wand.
Äußerlich ist alles normal: Temperatur, Blutdruck, Puls. Sie isst, was ihr serviert wird, schluckt die Tabletten, ohne zu murren. Aber reden will sie nicht.
Warum macht sie sich ausgerechnet um diese Patientin solche Sorgen? An die anderen verschwendet sie kaum einen Gedanken, sie hat sie schon vergessen, wenn sie im Auto und auf dem Heimweg ist. Aber diese eine geht ihr nicht aus dem Kopf, und das beunruhigt sie. Manchmal ertappt sie sich bei unerlaubten Gedanken, die ihrer Ausbildung und Berufserfahrung zuwiderlaufen. Was ist los mit dir? Du bist hübsch, jung, intelligent, bist von Menschen umgeben, die dich lieben. Du liebe Güte, du bist am Leben, oder?
Vielleicht lenkt sie sich mit dem intensiven Nachdenken über Elisabeth von ihrer Enttäuschung über Mark ab. Vielleicht ist sie unbewusst auf diese Patientin fixiert, um nicht ständig an ihn denken zu müssen. Er hat nicht angerufen, weder eine Mail noch eine SMS geschrieben, dabei hat sie noch Bücher und eine DVD von ihm. Er benimmt sich wie ein schmollender Teenager. Total kindisch. Von einem Zweiunddreißigjährigen würde man etwas anderes erwarten. Seit sechs Monaten kennen sie sich, und nun zieht er sich komplett zurück, bloß weil sie ein Mal zu viel zu tun hatte, um mit ihm zu Abend zu essen?
Sie muss zugeben, sie vermisst ihn. Sie mochte die lustigen SMS, die er ihr während der Arbeitszeit schickte. Sie mochte es, sich an ihn zu schmiegen, wenn sie samstags oder sonntags nebeneinander aufwachten und der Vormittag vor ihnen lag. Sie kochte Kaffee, er ging los, um frisches, warmes Brot zu kaufen, und dann lasen sie gemeinsam die Zeitung. Hat sie ihn geliebt? War sie in ihn verliebt? Bestimmt nicht auf diese Art und Weise, von der man dauernd liest. Hals über Kopf verliebt sein. Hals über Kopf. Die Vorstellung erregt ihr Misstrauen, beinhaltet sie doch eine gewisse Hilflosigkeit und den Verlust der Kontrolle. So hat sie sich nie gefühlt, und sie vermutet, dass solche Gefühle größtenteils auf Einbildung beruhen. Wie auch immer, so etwas will sie nicht.
»Elisabeth? Wie geht es Ihnen heute?«
»Verpissen Sie sich, Stephanie.«
Das Licht, das durch die Jalousienritzen eindringt, zeichnet harte Schatten auf Elisabeths Gesicht, und ihre Stimme klingt so abgehackt und rauh, dass Stephanie zurückzuckt, fast einen Laut ausstößt. Einen Moment bleibt sie ratlos stehen, von der Überraschung mundtot gemacht.
Aber sie hat reagiert, immerhin.
»Möchten Sie mit mir reden?«
Elisabeth schließt die Augen. Wendet sich der Wand zu.
Am Ende ruft sie ihn an.
»Mark? Wir haben uns länger nicht gesehen, und ich dachte mir …«
Seine Stimme klingt gepresst, distanziert. »Ich habe jemanden kennengelernt.«
»Oh. Ja dann.«
»Das überrascht dich doch nicht?«
»Na ja, ich …«
»Ach komm, Stephanie. Du hast mich nie wirklich in dein Leben gelassen.«
»Ich war gern mit dir zusammen, Mark. Ich dachte, du wüsstest das.«
»Nein, das wusste ich nicht.«
Sie hört ein Klicken.
Verpiss dich, Stephanie.
Jeden Tag verbringt sie mehr Zeit bei der Arbeit; sie kommt noch früher, geht später. Am Vorabend kam die Putzfrau um halb acht herein und war überrascht, sie noch anzutreffen. Hat gewitzelt, das nächste Mal solle sie einfach einen Schlafsack mitbringen. Aber sie ist gerne hier. Sie hört Stimmen, hört Geräusche auf dem Flur und in den anderen Zimmern, nur wenige Meter entfernt. Anfangs hatte ihr die Wohnung gefallen, die Stille und Abgeschiedenheit. Inzwischen wird sie dort unruhig, fühlt sich eingesperrt.
Manchmal, wenn sie Mary-Anne und Kevin besucht, die jetzt ein Haus im Neubaugebiet von Abbotsford besitzen, kann Stephanie nicht anders, als zu staunen. Da ist die neue Sitzgarnitur aus Leder und die Vorhänge, die Mary-Anne selbst gemacht hat, obwohl sie früher immer meinte, Nähen sei stinklangweilig, und überhaupt könne sie mit dem ganzen Hausfrauenzeugs nichts anfangen. Das Zimmer für das Baby haben sie hellgelb gestrichen, weil die Farbe nach Mary-Annes Ansicht die Stimmung hebt, und auch hier hängen neue Vorhänge, blau mit Entchenborte. Mary-Anne wünscht sich eine natürliche Geburt, ihre Hebamme hat ein
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