Komm stirb mit mir: Thriller (German Edition)
geschickt. Hat ja keinen Sinn, dass sie hier rumhängt wie bestellt und nicht abgeholt. Der Arzt hat Mary bis oben hin vollgepumpt, sie liegt flach und kann mit keinem reden. Wenn Sie Fragen haben, werden Sie mit mir vorlieb nehmen müssen. Ich habe gerade Wasser aufgesetzt. Wollen Sie einen Tee?«
»Bitte. Mit Milch, ohne Zucker«, sagte sie und spürte auf einmal den vertrauten Schmerz in der Magengrube. Den ganzen Morgen war sie bei der Kripo in Ealing gewesen, danach das Treffen mit Tartaglia, und hatte bei all dem das Mittagessen vergessen. Gott sei Dank hatte sie wenigstens vernünftig gefrühstückt, auch wenn das jetzt nur noch eine ferne Erinnerung war. Immer das Gleiche bei einem neuen Fall. Adrenalin und Kaffee waren die Hauptantriebsmittel, die einen am Leben hielten, und es bedurfte schon einer bewussten Anstrengung, ans Essen zu denken und sich irgendwo im Laufschritt ein Sandwich oder, wenn man Glück hatte, einen warmen Imbiss zu holen. Es würde ein harter Kampf werden, nicht wieder mit dem Rauchen anzufangen.
»Das Wohnzimmer ist gleich hier links«, sagte Kramer und zeigte auf die Tür. »Machen Sie es sich gemütlich, ich bin sofort wieder da.«
Sie öffnete die Tür und trat in ein kleines, cremefarben gestrichenes Zimmer mit dickem Teppichboden und dunkler Ledergarnitur: ein Sofa und zwei Sessel. Vermutlich hatte Gemmas Mutter die Einrichtung gewählt – kaum vorstellbar, dass Kramer die in Reh- und Kastanienbraun gestreiften Vorhänge mit den ordentlichen Raffbändern ausgesucht hätte, geschweige denn die Reihe botanischer Drucke, die an der Wand hingen. Ein teuer aussehender Fernseher auf einem Gestell aus Glas und Chrom nahm den Ehrenplatz vor dem Sofa ein, daneben ein hohes Regal mit mehreren schlaff aussehenden Topfpflanzen, einer DVD-Sammlung und diversen goldgerahmten Fotos.
Sie trat vor das Regal und betrachtete das Bild eines hübschen jungen Mädchens mit langem, glänzend braunem Haar. Es war ein Schulfoto, das Mädchen trug eine marineblaue Strickjacke über einer blauweiß karierten Bluse und einen Haarreif im Haar. Am unteren Rand stand »Convent of the Sacred Heart« und die Jahreszahl des vergangenen Jahres. Sie nahm an, dass es Gemma war. Sie sah nicht älter aus als höchstens zwölf, ihr Lächeln war unschuldig und offen wie das eines Kindes, keine Spur von der Befangenheit eines Teenagers. Donovan musste daran denken, wie sie seit der Pubertät stets vor allen Kameras geflüchtet war und Grimassen zog, um ihre Verlegenheit zu überspielen, wann immer sie doch erwischt wurde, dabei wissend, dass ihr das Endergebnis nicht gefallen würde.
Sie hatte sich gerade einem Foto von zwei frech aussehenden Jungs zugewandt, als Kramer mit zwei Tassen Tee hereinkam.
»Das sind Patrick und Liam«, sagte er, reichte ihr eine Tasse und trug die andere zum Tisch, ließ sich ins Sofa fallen und streckte die Füße unter den Glastisch. »Meine Jungs, Gemmas Halbbrüder. Ich habe sie zu ihrem Kindermädchen gebracht, bis es Mary wieder besser geht. Sie ist nicht sehr belastbar im Moment.«
Donovan ließ sich in einem der bequem aussehenden Sessel nieder und zog Notizbuch und Stift aus der Tasche. »Nur der Form halber: Könnten Sie mir sagen, wo Sie am Mittwochnachmittag waren?«
Er sah auf der Stelle beleidigt aus. »Wer, ich? Was habe ich damit zu tun?«
»Reine Routinefrage, Mr. Kramer. Sie wissen doch, wie das ist. Wir müssen alle Tüpfelchen aufs I und alle Striche beim T machen.« Sie nahm einen Schluck Tee. Er war gut und stark, und sie fühlte sich sofort besser.
Er nickte langsam, anscheinend hatte er die Erklärung notgedrungen akzeptiert. »Ich war bis kurz vor fünf in Gatwick. Musste einen Stammkunden abholen, aber der Flug hatte Verspätung.«
Er nannte ihr den Namen und die Telefonnummer des Kunden, und sie schrieb mit.
»Vielleicht fangen wir mit ein paar Hintergrundinformationen an. Sie sagten, Sie sind Gemmas Stiefvater.«
»Das stimmt.«
»Sind Sie Ire?«, fragte sie auf der Suche nach einer unverfänglichen Einleitung.
»Rede ich etwa so?«
»Ich dachte nur, weil Patrick und Liam...«, erklärte sie und fragte sich, warum er so empfindlich war.
Kopfschüttelnd fiel er ihr ins Wort. »Mary wollte das so. Sie ist in Cork geboren, aber schon mit zehn nach London gekommen. Ich stamme aus Elephant and Castle, bin dort geboren und aufgewachsen.«
»Und Gemmas Vater? Der leibliche Vater, meine ich?«
»Mick? Ja, der ist Ire. Er war Marys Jugendliebe, aber als
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