Komm und küss mich!: Roman (German Edition)
Die unterschwellig gute Stimmung war verflogen. Seine Rasputinaugen taxierten sie von Kopf bis Fuß: das teure Kleid, die modischen Pumps, die auf dem Boden lagen. Schweigend zündete er sich eine Zigarette an. Er hatte ein besonderes
Talent, alle Sünden dieser Welt gerade ihr in die Schuhe zu schieben, doch dieses Mal wollte sie sich nicht schuldig fühlen. »Ich meine es ernst, Gerry«, sagte sie. »Ich will, daß du verschwindest.«
»Der Alte ist sicher sehr stolz auf seine Tochter«, stichelte er. »Seine kleine Naomi hat sich in ein schönes Kapitalistenschwein verwandelt, genau wie alle andern.«
»Laß mich in Ruhe!«
»Du hast mir gar nicht erzählt, wie er auf deine Heirat mit diesem Japsen reagiert hat.« Sein Lachen klang zynisch. »Nur meine Schwester Naomi bringt es fertig, einen Japsen namens Tony zu heiraten. Was für ein verrücktes Land.«
»Tonys Mutter ist Amerikanerin. Und er gehört zu den führenden Biochemikern. Seine Arbeiten sind überall …« Sie brach ab, da sie keinen Mann verteidigen wollte, an dem ihr nichts mehr lag. Gerry hatte sie wieder dazu gebracht. Sie sah ihn forschend an. »Bist du mal wieder in Schwierigkeiten?«
Gerry zuckte die Achseln.
Wie müde er aussah. »Komm mit in die Küche, ich mach’ dir was zu essen.« Sie war immer noch die Tochter ihrer Mutter. Selbst wenn die Kosaken bereits die Haustür einträten, die Frauen in Naomis Familie würden sich ungerührt zu einem Essen mit fünf Gängen niederlassen.
Sie machte ihm ein Sandwich mit Roastbeef und Schweizer Käse, wie er es so gern mochte, und setzte ihm eine Portion Feigen vor. Dann schenkte sie sich ein Glas Wein ein und sah ihm beim Essen zu. Offenbar war er sehr hungrig, wollte sich das aber auf keinen Fall anmerken lassen. Wann er wohl zum letzten Mal etwas Anständiges gegessen hatte? Früher hatten die Frauen Schlange gestanden, um Gerry Jaffe zu beköstigen. Wahrscheinlich war das auch jetzt noch so, denn ihr Bruder wirkte überaus anziehend auf Frauen. Es hatte sie immer wütend gemacht, wie gleichgültig er Frauen behandelte, die sich in ihn verliebt hatten.
Sie machte ihm ein zweites Sandwich, das er mit dem gleichen Heißhunger vertilgte. Sie war stolz auf ihren Bruder – trotz allem. Die anderen Studentenführer hatte er damals ausgestochen, Abbie Hoffmann und seinen Sinn für das Komische, Tom Hayden mit seiner Disziplin und Stokely Carmichael mit seiner Redegabe, aber jetzt war Gerry nur noch ein Dinosaurier, ein Radikaler aus den sechziger Jahren, der im Zeitalter des »Ich-zuerst-und-dann-die-anderen« nichts mehr zu melden hatte. Er ging mit dem Hammer auf nukleare Waffenarsenale los und schrie »Power to the People!«, obwohl alle mit Walkmen herumliefen und ihn nicht hören konnten.
»Was mußt du hierfür bezahlen?« erkundigte sich Gerry, als er fertig war. Er zerknüllte die Serviette und holte sich Milch aus dem Kühlschrank.
»Das geht dich überhaupt nichts an.« Sie hatte nicht das geringste Interesse, sich seinen Vortrag über die hungernden Kinder anzuhören, die von einer Monatsmiete satt werden könnten.
»Wie geht es Ma?« Es sollte beiläufig klingen, aber sie ließ sich nicht täuschen.
»Sie hat ein bißchen Arthritis, aber sonst geht es ihr gut.« Um weiteren unerwünschten Fragen vorzubeugen, fügte sie hinzu: »Und Dad geht’s auch gut. Du weißt doch, daß er seit dem letzten Sommer im Ruhestand ist?«
»Ja, weiß ich. Fragen sie denn manchmal …«
Naomi konnte einfach nicht anders, sie mußte sich neben ihn setzen und sich an ihn schmiegen. »Ich weiß, daß sie an dich denken, Gerry«, sagte sie leise. »Es ist nur … es war eben schwer für sie.«
»Sie könnten doch stolz auf mich sein!« stieß er hervor.
»Ihre Freunde zerreißen sich den Mund über dich.«
Er drückte sie etwas verlegen an sich und ging dann mit hastigen Schritten ins Wohnzimmer zurück.
»Gerry, warum bist du hier? Was willst du?«
Er legte die Hände wie zum Gebet zusammen und deutete eine Verbeugung an. »Ich bitte um Asyl.«
Dallie siegte im Turnier von Lake Charles.
»War doch sonnenklar, daß du gewinnst«, grummelte Skeet, als Dallie mit dem Silberpokal und einem Zehntausenddollarscheck ins Motel zurückkehrte. »Das war ja auch ein ganz einfaches Gelände. Warum bringst du’s nicht mal in Firestone oder irgendwo, wo sie ’ne Fernsehkamera auf dich richten, kannst du mir das vielleicht mal verraten?«
Francesca ließ sich völlig erschöpft aufs Bett sinken
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