Komm und küss mich!: Roman (German Edition)
ein komisches Geräusch.
»Was das wohl sein kann?« fragte er Skeet. »Ich hab’ den Motor erst vor drei Wochen einstellen lassen. Es kommt von hinten, nicht? Hörst du’s auch?«
Skeet war gerade in einen Artikel über Ann-Margret vertieft und schüttelte den Kopf.
»Vielleicht ist es der Vergaser.« Dallie drehte sich zu Francesca um. »Kannst du was hören, Francie? So ein kratzendes Geräusch?«
»Ich höre überhaupt nichts«, antwortete Francesca rasch.
In diesem Augenblick war das Kratzen ganz deutlich zu hören. Skeet schreckte hoch. »Was’n das?«
Dallie fluchte. »Ich weiß, was das ist. Verdammt noch mal, Francie, du hast die häßliche Katze hier reingeschmuggelt, gib’s zu!«
»Bitte, reg dich nicht auf, Dallie«, versuchte sie ihn zu beschwichtigen. »Ich kann nichts dafür. Sie ist mir hinterhergekommen, und ich konnte sie nicht wieder loswerden.«
»Na, kein Wunder!« brüllte Dallie. »Du hast sie doch bestimmt gefüttert, obwohl ich’s dir ausdrücklich verboten habe.«
Sie bat um Verständnis. »Sie ist so … abgemagert. Ich kann nicht essen und zusehen, wie sie hungern muß.«
Skeet gluckste, und Dallie fuhr zu ihm herum. »Was findest du denn so komisch, wenn ich fragen darf?«
»Nichts«, gab Skeet grinsend zurück, »gar nichts.« Dallie riß seine Tür auf, lehnte sich über seine Rückenlehne und entdeckte die Katze auf dem Boden neben der Kühltasche. »Los, Francie, schmeiß sie sofort raus!«
»Aber dann wird sie ja überfahren«, protestierte sie. Allerdings war ihr völlig unklar, warum sie dieses Tier beschützen sollte, das ihr nicht das kleinste bißchen Zuneigung bekundet hatte. »Wir können sie nicht auf der Autobahn aussetzen, sonst ist sie gleich tot.«
»Dann haben wir eine Dumme weniger«, konterte Dallie. Francesca funkelte ihn böse an. Die Katze machte einen Buckel, fauchte und schlug die Zähne in Francescas Knöchel.
Sie schrie vor Schmerz laut auf und kreischte Dallie an: »Das ist deine Schuld!« Sie zog sich den verletzten Fuß auf den Schoß und beschimpfte die Katze: »Du undankbares Geschöpf! Hoffentlich wirft er dich vor einen Greyhoundbus!«
Dallies verzerrte Miene entspannte sich, er grinste breit. Er dachte kurz nach und schlug die Tür wieder zu. Dann meinte er zu Skeet: »Vielleicht sollte Francie die Katze behalten. Ein gemischtes Doppel soll man nicht auseinanderreißen.«
Für Menschen, die sich in einer Kleinstadt wohl fühlen, war Wynette, Texas, genau das richtige. San Antonio mit seinen Großstadtlichtern lag nur etwa zwei Fahrstunden entfernt, jedenfalls dann, wenn man die saudumme Geschwindigkeitsbegrenzung, die sich die Bürokraten in Washington ausgedacht hatten, um die freie Fahrt für freie Bürger in Texas zu behindern, munter überschritt. Essigbäume säumten die Straßen und spendeten Schatten, und der Park von Wynette hatte einen Marmorbrunnen mit vier Trinkhähnen. Die Menschen waren sture Rancher und Farmer, für texanische Verhältnisse grundehrlich. Sie sorgten dafür, daß immer genügend konservative Demokraten und Baptisten den Rat der Stadt unter Kontrolle hatten, um möglichst viele Angehörige von Randgruppen davon abzuschrecken, sich staatliche Zuwendungen zu erschleichen. Wer sich erst einmal in Wynette niedergelassen hatte, blieb in der Regel auch.
Das Haus in der Cherrystreet war ursprünglich ein viktorianischer Alptraum gewesen, genau wie seine Nachbarn. Dann hatte Miß Sybil Chandler es übernommen. Im Lauf des ersten Jahres hatte sie die öde graue Fassade leuchtend rosa und lavendelfarben gestrichen und quer über die Veranda lauter selbstgeknüpfte Makraméhalter mit Farnkraut gehängt. Noch nicht ganz zufrieden mit ihrem Werk, hatte sie die dünnen Lippen geschürzt und um die Fensterrahmen in zartesten Orangetönen ein ganzes Rudel hüpfender Schneehasen gemalt. Der krönende Abschluß war dann der ebenfalls handgemalte Namenszug über dem Briefkastenschlitz in der Haustür. Und weil ihr der so gut gefiel, setzte sie unter den Schlitz gleich noch einen Lebenslauf in Kurzfassung:
Das Werk von Miß Sybil Chandler
High-School-Lehrerin im Ruhestand
Vorsitzende der Freunde und Förderer der Stadtbibliothek,
passionierte Liebhaberin der Werke
W. B. Yeats’, E. Hemingways u. a.,
Rebellin.
Nach längerem Nachdenken wirkte es auf sie wie eine Grabinschrift, daher übermalte sie den Text bis auf die erste Zeile mit einem weiteren Schneehasen.
Das letzte Wort, »Rebellin«, war ihr aber nicht mehr
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