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Komm und küss mich!: Roman (German Edition)

Komm und küss mich!: Roman (German Edition)

Titel: Komm und küss mich!: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Elizabeth Phillips
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aus dem Sinn gegangen und bereitete ihr großes Vergnügen. Es klang wunderbar und würde sich gut auf ihrem Grabstein machen. Nur ihr Name, das Geburts- und Sterbedatum (hoffentlich in ferner Zukunft) und dieses eine Wort »Rebellin«.
    Wenn sie so an die großen Rebellen in der Literatur dachte, würde man ihr wohl kaum ein derart ehrfurchtgebietendes Beiwort verehren. Es war ja schließlich erst zwölf Jahre her, daß sie im Alter von vierundfünfzig Jahren ihr Lehramt an der renommierten Mädchenschule in Boston aufgegeben hatte, nach zweiunddreißig Jahren Dienstzeit. Und sie war mit ihrer ganzen Habe nach Texas übergesiedelt. Ihre Freunde hatten sie für verrückt erklärt, aber Miß Sybil ließ sich nicht beirren. Daß ihr Leben in so festen Bahnen verlief, nichts Unerwartetes eintraf, hatte sie förmlich erstickt.
    Auf dem Flug von Boston nach San Antonio zog sie sich auf der Bordtoilette um, schüttelte sich den ordentlichen Knoten aus dem graumelierten Haar und stieg in das erste Paar Jeans ihres Lebens und in kniehohe rote Lederstiefel. Dann setzte sie sich wieder auf ihren Platz, bewunderte ihre Stiefel und las Betty Friedan bis zur Landung.
    Miß Sybil hatte mit geschlossenen Augen auf die Karte von Texas getippt und dabei Wynette getroffen. Die örtliche Schulbehörde hatte sie gleich auf ihre schriftliche Anfrage eingestellt, überglücklich, daß eine Lehrerin mit Renommee an ihrer kleinen High-School unterrichten wollte. Als sie zum ersten persönlichen Gespräch in einem Schlabberrock mit Blümchenmuster, riesigen Silberohrringen und den roten Stiefeln
erschien, hätte der Direktor am liebsten auf der Stelle die Kündigung ausgesprochen. Sie durchbohrte ihn mit ihren kleinen unnachgiebigen Augen und versicherte, sie werde keine Disziplinlosigkeit im Klassenzimmer dulden. Eine Woche später nahm sie ihre Unterrichtstätigkeit auf, drei Wochen darauf stauchte sie den Bibliotheksausschuß zusammen, weil er den »Fänger im Roggen« aus der Literatursammlung entfernt hatte.
    J. D. Salinger tauchte wieder in den Regalen auf, die Schüler der Oberstufe verbesserten ihre Examensergebnisse um einhundert Prozent gegenüber dem Jahrgang des Vorjahres, und Miß Sybil Chandler verlor ihre Jungfräulichkeit an B. J. Randall, den Inhaber des Elektrogeräteladens, für den sie die wunderbarste Frau auf der ganzen Welt war.
    Miß Sybil genoß das Leben in vollen Zügen, bis B. J. starb und sie im Alter von fünfundsechzig Jahren gezwungenermaßen in den Ruhestand treten mußte. Sie wanderte lustlos in ihrer kleinen Wohnung umher, hatte zuviel Zeit, zuwenig Geld und niemanden, um den sie sich kümmern konnte. Einmal wanderte sie spät nachts ins Stadtzentrum. Dort fand Dallie Beaudine sie mitten in einem Gewitter, nur mit einem Nachthemd bekleidet.
    Gerade legte sie den Hörer nach dem wöchentlichen Ferngespräch mit Holly Grace wieder auf und nahm die kupferne Gießkanne zur Hand. In wenigen Stunden würden ihre beiden Jungen nach Hause kommen. Ihre Gedanken wanderten zurück in den Winter des Jahres 1965.
    Mitten im Englischunterricht ging plötzlich die Tür auf, und ein schlaksiger Junge, den sie noch nie gesehen hatte, kam in aller Gemütsruhe hereingeschlendert. Mit einem Blick nahm Miß Sybil alles auf: Er sah besser aus, als es gut für ihn war, trug eine unverschämte Miene zur Schau und hatte einen betont lässigen Gang. Er warf ihr eine Anmeldekarte aufs Pult, lümmelte sich auf einen leeren Platz und streckte seine
langen Beine quer durch den Mittelgang. Die Jungen musterten ihn verstohlen; die Mädchen kicherten und reckten die Hälse, um ihn besser sehen zu können. Er grinste sie an, starrte ihnen unverwandt auf den Busen. Dann schlief er ein.
    Miß Sybil wartete das Pausenzeichen ab und zitierte ihn dann nach vorn. Mit gelangweilter Miene pflanzte er sich vor ihr auf. Sie las auf der Karte seinen Namen und sein Alter – fast sechzehn – und erklärte ihm ihre Prinzipien: »Ich dulde kein Zuspätkommen, Kaugummikauen oder Disziplinlosigkeiten. Du wirst einen kurzen Aufsatz für mich schreiben und dich damit vorstellen! Morgen liegt er hier auf meinem Pult!«
    Er zog die Hand aus der Hosentasche und erwiderte kühl: »Verpiß dich, Tante!«
    Bevor sie in angemessener Weise darauf reagieren konnte, war er schon zur Tür hinaus. Sie sah ihm nach, voll kribbelnder Erregung. In den finsteren blauen Augen hatte sie untrügliche Zeichen von Intelligenz aufblitzen sehen. Erstaunlich! Sie sah sofort,

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