Komm wieder zurück: Roman
verwirrte sie. Alles schien fehl am Platz. Sie wusste nicht, wie lange sie dort gesessen hatte, nur dass ihre Kopfhaut in der Sonne brannte, als sie aufhörte, sich hin und her zubewegen. Ihre Augen juckten und schwollen an, als wenn sich ihr Gesicht mit Wasser füllte.
»Hallo!« Endlich kam ihr in den Sinn, um Hilfe zu rufen, irgendjemanden, egal wen. Ihre Stimme klang, als käme sie von woanders her.
Der Bienenstich hatte diesen ganzen Schmerz verursacht. Das wusste sie. Aber sie sah immer wieder Josh Pinckneys Gesicht über dem Baum, seine wedelnde Hand, sein im Wind flatterndes Haar, als hätte er ihr das angetan.
Ihre Kehle fühlte sich an wie mit Watte gepolstert. Sie hustete und pulte an dem Stachel in ihrer Haut. Ihre Hand war so stark geschwollen, dass sie nicht mehr wie ihre eigene aussah.
»Cal-der!«, schrie sie, doch es war kaum zu hören. Sie nahm jemanden in ihrer Nähe wahr, der auf sie zukam. Sie konnte nichtsklar erkennen. Ihre Haut wurde kalt, und die nackten Beine zitterten. »Ich bin zwischen die Finger gestochen worden«, sagte sie. Ihre Hand hob sich wie ein Ballon.
Sie legte sich hin, mit dem Gesicht zur Sonne, das Haar in vergammelten, faulen Pfirsiche. Die Luft schien zu dünn, als dass sie ihrer Lunge hätte nützen können. Sie wurde noch dünner, als Josh Pinckneys Silhouette über ihrem Kopf Gestalt annahm.
Regen prasselte an das Glas des Krankenhauses, und der Geruch von nasser Erde drang durch die Ritzen unter der Fensterscheibe herein. Annie öffnete ein Auge und sah Calder, der gerade einen Blick auf die große runde Wanduhr warf. Der Dreiuhrschauer prasselte so hart herab, dass die Regenrinnen überliefen und alles Lebendige bis zu den Wurzeln durchnässt wurde. Annie hatte Durst. Sie schloss das Auge wieder und stellte sich vor, dass der Regen die Erde tränkte. Sie spürte Calders Gegenwart am Fußende, hörte ihn die Seiten eines Büchleins blättern, blättern, blättern.
Dann roch sie Pfefferminzseife und Zigarre und wusste, dass Onkel Calder auch da war. Sie merkte, dass er sich auf seinem Stuhl zu ihr vorbeugte und seufzte. Er berührte leicht ihren Arm, bevor er sich wieder zurücklehnte. Einen Augenblick später tat er es noch einmal.
Langsam öffnete sie beide Augen und versuchte, sich aufzusetzen, aber es ging nicht.
Onkel Calder stand auf und tätschelte ihr Bein. »Ich dachte, ich hätte dir gesagt, dass du keine Dummheiten mehr machen sollst.« Mit dem Zeigefinger strich er ihr das Haar von den Augen.
»Du bist ein Kriegsheld«, sagte Annie, als hätte er sie gerade gerettet. Sie schloss wieder die Augen. Am Gelächter im Zimmer erkannte sie, dass sie wieder einmal Geschichten geträumt hatte. Das passierte ihr damals oft. Von Onkel Calder, der Haien ins Gesicht boxte. Onkel Calder, der in ein Rettungsboot gehievt wurde, frisches Wasser zu trinken bekam und einen hübschen lila Orden auf einer Bühne.
Sie riss die Augen weit auf. Ihr Onkel und ihr Bruder waren wie die große und die kleine Version ein und derselben Person.
Calder huschte an Annies Seite. »Du bist wach.«
Sie blinzelte.
»Bist du okay, Spatz?«, fragte Onkel Calder.
»Mir ist schlecht«, flüsterte sie.
Calder legte das Buch aufs Bett. Ein Insektenführer. Er zog seine Hände hinter den Rücken, aber sie sah, dass seine Unterarme mit violetten und roten Schnittwunden und Abschürfungen übersät waren. »Die haben dir alles mögliche Zeug mit dem Schlauch eingeflößt«, sagte er.
Sie blinzelte zu der Flasche hoch, die von der Stange herabhing. Sie untersuchte ihren Arm und ihre Hand, in der ein Schlauch steckte und die in Verbandmull so dick wie ein Boxhandschuh eingewickelt war. Sie deutete mit dem Kopf auf Calders Arme. »Was ist dir denn passiert?«
Er sah an sich hinab. »Ich bin vom Baum gefallen«, sagte er, doch es klang nicht aufrichtig. Sie musste wohl die Braue hochgezogen haben wie ihr Vater. »Was soll das?«, fragte Calder. »Ich bin vom Baum gefallen.«
Annie wandte sich an Onkel Calder. »Wo sind Mom und Daddy?«
Calder fing an, auf dem Bett zu wippen.
»Runter!«, sagte sie und schluckte, um ihren Magen zu beruhigen.
Er stand auf und stellte sich neben sie, die Hände hinter dem Rücken versteckt.
»Dein Daddy fühlt sich nicht so gut«, sagte Onkel Calder. »Aber mach dir jetzt mal keine Sorgen um ihn. Das wird schon wieder.«
Doch seine Augen verrieten die Wahrheit.
Calder zwinkerte mehrmals, dann platzte er mit der Neuigkeit heraus: »Er war hier drin, aber
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