Kommissar Joakim Hill - 01 - Die zärtliche Zeugin
…«
Corell versank ein weiteres Mal in die Betrachtung des Geräts. Er wirkte genauso ehrfurchtsvoll wie ein Biologe, der das letzte Exemplar einer Dronte in Händen hält.
»Ja, kein Zweifel, dass die Technologie von dort stammt. Ich erkenne die Handschrift der finnischen Instrumentenbauer. Genauigkeit gepaart mit Einfachheit der theoretischen Lösungen.«
Komm endlich zur Sache, bitte, komm endlich zur Sache, bat Hill innerlich.
»Es handelt sich um ein Projekt, das – rein theoretisch natürlich – die Möglichkeit untersucht, hypereffektive Penetrationswellen für dichte Objekte zu erzeugen.«
»Bitte?«
»Ja, einfacher ausgedrückt geht es um die Möglichkeit, durch Schwarz zu sehen.«
Ein Gedanke, bei dem es einem schwindeln konnte, aber endlich hatte Hill etwas, womit er weitermachen konnte. Er stand auf, schob das Kästchen zurück in seine Tüte und dankte Corell für seine Hilfe.
»Oh, nicht der Rede wert. Das Ganze war für mich wirklich sehr interessant. Ich wusste nicht, dass es in Helsinki wirklich gelungen ist, zu konkreten Ergebnissen zu kommen. Dass sie ein Gerät hergestellt haben, das funktioniert.«
»Vielleicht …«, Hill sah plötzlich ein, dass er damit vermutlich Recht hatte, »vielleicht wissen sie das nicht einmal selbst.«
Er würde dem Ganzen auf jeden Fall nachgehen, denn er ahnte, worum es ging. Er musste nur noch ein paar Ferngespräche führen.
Unerwartet wurde die Tür von Zimmer 417 aufgerissen.
Ein Riese in Uniform stand breitbeinig davor. Wie ein Macho trug er seine von einem Emblem geschmückte Baseballmütze etwas schief und hielt seinen Gummiknüppel mit der rechten Hand parallel zum Bein.
»Belästigt Sie dieser Typ, Dr. Corell? Soll ich ihn vielleicht nach draußen befördern?«, wollte er großspurig wissen.
Die eifrige Sekretärin hatte ihn unten im Entree bemerkt und sich an ihre Anweisungen erinnert, als sie diese Mannsperson erneut in den Korridoren hatte herumstreichen sehen. Sie hatte sofort Alarm geschlagen, und jetzt war die Kavallerie angerückt.
Corell wirkte überrumpelt, und ihm fiel nicht sofort eine zufrieden stellende Antwort ein. Der Wachmann von der Securitas deutete das als Bestätigung seines Verdachts und packte mit festem Griff einen Arm von Kriminalkommissar Hill.
»Kommen Sie einfach ruhig mit, dann gibt es keinen Streit!«
»Ich will Ihnen nur was zeigen«, sagte Hill und hob seine andere Hand zum Revers seiner Jacke.
»Stopp! Keine Tricks!«
»Keine Tricks«, Hill hob abwehrend die Hände, »nur ein Stück eingeschweißtes Papier. Okay?«
»Okay, aber machen Sie keine Dummheiten!«
Hill drehte das Futter seiner Jacke nach außen und zeigte ihm seinen Dienstausweis.
Das Resultat war nicht sehr ansehnlich. Die blutrote Farbe, die sich auf den Wangen des Wachmanns ausbreitete, passte ganz entschieden nicht zu seiner weinroten Uniform.
Aber das war schließlich sein Problem.
Hill war sich nicht sicher, was er davon halten sollte, dass privaten Wachgesellschaften immer mehr Aufgaben übertragen wurden.
Er wünschte sich, dieser Problematik so leicht den Rücken wenden zu können, wie er jetzt der Stadt den Rücken kehrte und auf der nach Norden führenden Spur der Autobahn zurück nach Helsingborg fuhr.
Aber ganz so einfach war das nicht. Es hatte weniger damit zu tun, dass es erniedrigend war, für einen Störenfried gehalten zu werden. Weitaus wichtiger waren die Fragen, die sich ergaben, wenn man den kräftig expandierenden Wirtschaftszweig betrachtete, der von Bewachung lebte.
Immer mehr Unternehmen beschäftigten immer schlechter ausgebildetes und überprüftes Wachpersonal, da sie sich nicht mehr darauf verließen, dass die Polizei Recht und Ordnung aufrechterhalten konnte. Und dass finanzstarke Interessen so deutlich der Polizei den Rücken kehrten, hatte auch Signalwirkung für die übrige Gesellschaft: Die Polizei ist ihren Aufgaben nicht mehr gewachsen. Sie bietet uns nicht mehr den Schutz, den wir brauchen.
Oder – von einem anderen Standpunkt aus – wir haben von ihr nichts zu befürchten.
Ein Teufelskreis, es konnten noch so viele Kriminologen an der Polizeihochschule ausgebildet werden und trotzdem würde niemand darauf kommen, wie er sich unterbrechen ließ. Je stärker die Zahl der Wachmänner zunahm, desto geringer wurde die Bereitschaft, den Etat der Polizei kräftig zu erhöhen. Und wenn die Mittel der Polizei nicht mehr ausreichten, dann wurden einfach noch weitere private Wachleute gebraucht.
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