Kommissar Joakim Hill - 02 - Die Frau im Schatten
getroffen, die zu einer austauschbaren Kulisse für ihre Vorstellungen wurde. Und nicht zuletzt für ihre Pläne, es zu etwas zu bringen, ohne sich anstrengen zu müssen.«
Hill schwieg lange, denn es gab nicht viel mehr zu sagen. Mit ihrer Analyse hatte sie die letzten fehlenden Puzzleteile zu einem vollständigen Muster zusammengefügt, und er sah sich nicht in der Lage, etwas gegen ihre Schlussfolgerungen einzuwenden.
Vielleicht hatte sie vollkommen Recht. Wenn es sich so verhielt, würde es in jedem Fall eine Menge erklären.
So ungern er selbst auch das engelsgleiche Bild der toten Frau trüben wollte, das sich ihm in die Netzhaut geprägt hatte, so war ihm doch eines klar geworden: Er wollte für nichts in der Welt so werden wie sie, die ganz offenbar Traum und Wirklichkeit nicht unterscheiden konnte – eine solche … Solipsistin.
»Danke«, sagte er schließlich, »danke, dass Sie mir das erzählt haben.«
»Hmm.«
»Und … haben Sie vor, etwas darüber zu veröffentlichen?«
»Nein«, sagte sie und wärmte ihre eiskalte Nase. »Warum sollte ich alles nur noch schlimmer für seine ohnehin schon geplagte Familie machen. Und ihre ebenso, was das betrifft.«
»Aber Sie können doch ein Buch schreiben«, schlug er ermutigend vor. »Einen Krimi oder so was in der Richtung – wenn ein bisschen Zeit vergangen ist und die Leute alles wieder vergessen haben.«
»Tja, vielleicht«, sagte sie mit einem leicht gefrorenen Lächeln. »Wer weiß?«
»Okay, ich muss jetzt fahren.«
»Na klar. Wir hören voneinander!«
»Ja genau«, versicherte er ihr und winkte zum Abschied, während sie vorsichtig über den vereisten Schnee lief. Er hätte ihr gerne angeboten, sie mit in die Stadt zu nehmen, doch sie war natürlich mit ihrem eigenen Auto gekommen. Sie hatte keinen bonbonblauen Suzuki wie Catharina, aber einen genauso kleinen roten Fiat.
Er hoffte, dass die Heizung in dem winzigen Gefährt ebenso gut wie in seinem eigenen Volvo S 70 funktionierte, und als er den kleinen italienischen Floh die Straße hinauftuckern sah, sehnte er sich ganz plötzlich danach, Catharina so bald wie möglich wieder fest an sich zu drücken. Als wollte er sich in ihrer Gegenwart versichern, dass er selbst in einer realeren und wirklicheren Welt lebte, als Anne Smitt es je getan hatte.
Er fuhr über die Autobahn zurück in die Stadt, doch er war so müde, dass er nicht einmal die Kraft aufbrachte, sich über die modernistische Missgeburt von künstlerischer Gestaltung, die den neu erbauten Kreisel schmückte, aufzuregen.
Demnach musste er todmüde sein, denn normalerweise trieb ihn dieses so genannte Kunstwerk regelmäßig in den Wahnsinn.
Ulf Gårdeman spürte den weichen Griff um seine Hand. Es war das Erste, was er überhaupt spürte, seit …
Dann schlug er unvermittelt die Augen auf und starrte an die Decke.
Aber er war nicht dort.
Es war alles leer – weder die Fenster noch das Licht waren zu sehen. Nur eine ganz normale Zimmerdecke.
Über sich konnte er kunstfertig gebogene Konstruktionen von Rohrleitungen erkennen, die sich über ihm wanden wie Außerirdische in einem Science-Fiction-Film. An den metallenen Rohren hingen Flaschen. Flaschen mit verschiedenfarbig schimmerndem Inhalt, von deren unteren Enden Schläuche herabführten.
Er folgte ihnen mit den Augen, diesen roten, weißen und gelben Schläuchen, aus denen die Flüssigkeit nach unten tropfte. Sie endeten genau in seinem eigenen Arm. Dann glitt sein Blick schläfrig zur Seite, wo er sie auf einem Stuhl neben sich sitzen sah. Lena Gårdeman hatte den Kopf nach vorn geneigt, als würde sie beten, obgleich sie überhaupt nicht religiös war.
Lena, wollte er sagen. Doch es kam kein Laut über seine Lippen. Sie waren völlig ausgetrocknet und gesprungen, und die Kehle fühlte sich an, als hätte sie jemand mit einem Reibeisen bearbeitet. Dort hatte während der Operation der Intubationsschlauch gesessen.
War das Ganze ein Witz?
Nein, nun erinnerte er sich. Es hatte wie ein Witz begonnen und mit unerträglichen Schmerzen geendet. Als Nächstes erinnerte er sich an den Schmerz … dann kam das Licht. Er fragte sich, wo es geblieben war. Und … wann er es wohl wiedersehen würde.
Irgendwie war er tief betrübt darüber, es verloren zu haben.
Lena bewegte den Kopf.
Seine Augen suchten die ihren, und ihn erfasste ein warmes Gefühl, als er plötzlich begriff, was er stattdessen hatte.
Mit seiner unglaublich kraftlosen Hand drückte er ihre schmalen
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