Kommissar Morry - Das Phantom
Unterhaltung beteiligt. Sein Gesichtsausdruck glich dem eines Trottels, wenn nicht sogar eines Geistesschwachen. Seine Augen schienen ständig zu schlafen. Hätten seine knochigen Hände nicht hin und wieder zum Schnapsglas gegriffen, so wäre diese Annahme kein Trugschluß gewesen. Als er sich langsam von seinem Stuhl erhob, glaubte man sein gebrechliches Knochengerüst knacken zu hören. Schweratmend war er dann zur Tür geschaukelt und hatte mit einem weiteren Grunzlaut das Zimmer verlassen.
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Einer der letzten, der durch Dickens Bartür ins Freie trat, war Marcher. Von dem zweiten Teil der im Hinterzimmer geführten Unterhaltung, die sich ausschließlich auf den morgigen Coup bezog, hatte der alte Marcher nicht sehr viel in sich aufgenommen. Seine Gedanken weilten die ganze Zeit über bei Phil Chadlos und mehr noch bei Mat Heflin. Hatte er anfänglich den Vorsatz gehabt, nach Phil Chadlos Fortgang ebenfalls die Versammlung unter einem triftigen Grund zu verlassen, so mußte er diesen Gedanken schweren Herzens wieder verwerfen, da ihm bei allen möglichen und - unmöglichen Kombinationen kein Grund ausreichend genug erschien, um dieserhalb die Zusammenkunft verlassen zu können, ohne durch sein Weggehen einen Verdacht in Rob Austick hervorzurufen. — Und wo sollte er nun noch Mat Heflin suchen. Er hatte ihn in der gestrigen Nacht und im Laufe des heutigen Vormittags nicht gefunden, obwohl er fast alle Absteigequartiere der Londoner Hafengegend abgesucht und auch jeden Berufsgenossen nach einem etwaigen Unterschlupf gefragt hatte. Nun, auf Anhieb würde er ihn auch nicht finden. Wenn dazu noch Rob Austick irgendeinen Verdach im Zusammenhang mit Mat Heflin bei ihm schöpfte, würde er Mat Heflin mehr Schaden zufügen als er gutzumachen imstande wäre. Rob Austicks Quälgelüste kannten in gewissen Fällen keine Grenzen. Schon mancher, der von Austick bearbeitet worden war, lief heute noch als Krüppel herum. — So war er dann geblieben. Immer in der stillen Hoffnung, es könnte dem Killer Phil Chadlo schon in diesem Abend gelingen, Mat Heflins Aufenthaltsort ausfindig zu machen und ihn hier in Dickens Hinterzimmer abzuliefern. War Mat Heflin erst einmal aus den Klauen des Killers, so würde er, Dan Marcher, schon den richtigen Weg einschlagen, um seinen Plan verwirklichen zu können. Er würde es tun, selbst wenn...
Doch der Abend und die halbe Nacht waren vergangen, und Mat Heflin wurde nicht gebracht. Hatte der hochnäsige und wichtigtuerische Killer Phil Chadlo es bisher auch noch nicht herausbekommen, wo sich Mat Heflin aufhielt? Anderenfalls hätte der Killer Mat Heflin schon herbeigeschleift und die zweite Hälfte seines Lohnes in Empfang genommen. ,Was nun?'
Unschlüssig blieb Dan Marcher im matten Schein des Bareinganges stehen. Sein Blick wanderte an den kahlen und ärmlich aussehenden Häusermauern der Morant-Street entlang und verhielt an dem leise im Winde schaukelnden Schild der Colibri-Bar. Wie oft hatte er dieses Schild aus dem meist hier am Hafen liegenden Nebel herausblinken sehen. Noch niemals glaubte er, das primitive Schild so deutlich in seiner Kitschigkeit gesehen zu haben. Dabei war diese Nacht auch nicht ohne den berühmten Londoner Nebel.
Gewiß, er lag nicht so dick wie an den meisten Herbsttagen in den Straßen dieser Stadt, aber es war etwas anderes, das dieses Schild so deutlich vor ihm erstehen ließ.
Seine Gedanken waren es. Gedanken, die sich in erster Linie mit dem Ausbrecher Mat Heflin beschäftigten, und eng verknüpft mit diesem dummen Burschen, wie er Mat Heflin kannte, war die Colibri-Bar. Oder genauer gesagt, war es Susan Bexter, die ihren Lebensunterhalt in dieser Bar verdienen mußte. Dan Marcher wußte nicht, wie er die Tür der Colibri-Bar durchschritten hatte. Er stand plötzlich mitten in dem rauchgeschwängerten Raum. Der Lärm, der um ihn brandete und einfach nicht aus Lokalen dieser Art wegzudenken war, drang nicht bis zu seinem hierfür erschaffenen Nerv heran. Seine Augen suchten den vor ihm liegenden Raum nach einer Person ab. — Und da hatte er sie erblickt. —
Mit einem riesenhaften Tablett kam Susan Bexter aus einer Menschentraube von der dichtumlagerten Theke hervor und glitt graziös zu den hinteren Tischen des Barraumes. Noch hatte sie ihn nicht erblickt, aber irgend etwas schien an dieser Frau verändert zu sein. Nichts Äußerliches war anders als sonst. Dennoch! — Dan Marcher hatte Susan Bexter schon einmal, vor einigen Jahren, in dieser
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