Kommissar Morry - Der Judas von Sodom
abend tatsächlich elf Mädchen in der Garderobe erscheinen. Wenn nämlich eine fehlt, dann haben Sie und Ihre Freunde gründlich versagt, Mr.Longman. Ist Ihnen das klar?“
„Tut mir leid, Sir“, brummelte der Spitzel.
„Wir können nicht dauernd hinter diesen Mädchen herlaufen. Was nützt es, wenn wir sie nach Hause begleiten, und sie machen später doch noch einen Nachtausflug. Wäre doch möglich, daß es so gewesen ist, nicht wahr?“
„Wir werden sehen“, sagte Morry einsilbig. „Ich komme heute abend in den Bouillonkeller, wenn ich Sie brauche. So long! Machen Sie sich unauffällig aus dem Staub.“
Chris Longman streckte noch einmal die Hand aus, aber als der Kommissar keine Bewegung machte, verdrückte er sich mit enttäuschtem Gesicht. Sekunden später verschwand er im Gewühl des Charing Croß. Der Schacht der U-Bahn-Station verschluckte ihn. Bis fünf Uhr abends setzte sich Kommissar Morry wieder an den Schreibtisch seines Dienstzimmers. Er konnte sich jedoch auf keine Arbeit konzentrieren. Seine Gedanken schweiften immer wieder ab. Eine verzehrende Unruhe quälte ihn. So war er ehrlich erleichtert, als die Stunde des Feierabends kam. Er war schon in Hut und Mantel, da ließ er Inspektor Rhonda noch rasch in sein Zimmer bitten.
„Kommen Sie heute Abend kurz vor neun Uhr in die Austern Bar“, befahl er heftig. „Alarmieren Sie inzwischen die Strompolizei. Die Herren sollen sich in Bereitschaft halten. Es ist möglich, daß wir sie heute Nacht noch brauchen.“
„Ist denn wieder etwas passiert?“ fragte Inspektor Rhonda mit großen Augen.
„Wir reden später darüber. Seien Sie pünktlich! Und rufen Sie sofort die Strompolizei an!“
*
Zehn Minuten vor neun Uhr trafen sich die beiden Beamten vor dem hell erleuchteten Einsang der Austern Bar. Ringsum drängten die Männer, die noch eine Eintrittskarte ergattern wollten. Es war ein unbeschreibliches Gewühl.
„Kommen Sie!“ brummte Morry. „Wir wollen in die Garderobe gehen.“
Der Portier wollte sie zurückhalten, aber als er ihre blitzenden Marken sah, ließ er sie eingeschüchtert passieren. Inspektor Rhonda folgte dicht hinter dem Kommissar. Fast gleichzeitig erreichten sie die Tür, hinter der erregtes Stimmengemurmel erklang. Es war alles genauso wie beim letztenmal. Wieder klopfte Morry vergeblich. Sein Pochen wurde einfach nicht gehört. Er drückte die Tür auf. Die Garderobe öffnete sich vor ihnen. Die Tanzmädchen saßen an dem langen Spiegeltisch und machten sich für die Aufführung zurecht. Sie waren alle schon im Kostüm. Nur Schminke und Puder fehlten noch. Zwei Plätze waren leer.
„Wer saß sonst hier?“ fragte der Kommissar.
Liz Etty drehte sich zu ihm um. Sie war blaß. Ihre Augen brannten wie im Fieber.
„Hier saß Kate Hugard“, murmelte sie mit bleichen Lippen.
„Und nebenan?“
„Stephanie Malet.“
„Wo ist sie?“
„Keine Ahnung, Sir! Sie müßte längst hier sein. Bisher ist sie eigentlich nie zu spät gekommen.“
Kommissar Morry wechselte einen raschen Blick mit Inspektor Rhonda. „Lassen Sie sich vom Geschäftsführer die Adresse Stephanie Malets geben“, raunte er verstohlen. „Sie wohnt in einem kleinen Boardinghouse. Gehen Sie sofort dorthin. Untersuchen Sie Ihr Zimmer. Fragen Sie im Haus herum, wo das Mädchen heute Nacht gewesen ist.“
Inspektor Rhonda entfernte sich noch in der gleichen Sekunde. Er schlug hastig die Tür hinter sich zu. Seine Schritte verhallten im Garderobengang.
„Was ist mit Stephanie Malet, Sir?“ fragte Liz Etty angstvoll. „Wird sie vermißt? Oder wurde sie etwa genauso wie Kate Hugard am Sodom Wall...?“
Morry kniff mißtrauisch die Augen zusammen. „Wie kommen Sie auf eine solche Idee?“ fragte er gedehnt.
Liz Etty zögerte. Sie senkte die langen Wimpern über die blauen Augen.
„Ich habe Stephanie gestern Abend noch gewarnt, Sir“, flüsterte sie mit unruhiger Stimme. „Sie ist aus unserer Pension ausgezogen. Sie mietete sich ein Zimmer in einem Boardinghouse. Sie erwartete gestern Nacht einen Freund.“
Morry trat unwillkürlich einen Schritt vor. Sein Gesicht spannte sich. Durchdringend blickte er das Mädchen an.
„Wie hieß der Freund?“ fragte er drängend.
„James Hatfield.“
„Irren Sie sich auch nicht? Hieß er wirklich so?“
„Bestimmt, Sir! Stephanie nannte mir seinen Namen, bevor sie wegging.“
„Wurde sie von ihrem Freund draußen erwartet?“
„Nein, Sir. Sie sagte, er käme um elf Uhr in ihr
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