Kommissar Morry - Der Judas von Sodom
spürte sein Herz plötzlich bis zum Halse schlagen. Teils war die Vorfreude daran schuld, teils die Angst vor der erneuten Begegnung mit Burt Lukin. Er täuschte sich nicht darüber, wie gefährlich dieser Mann war. Er wußte auch, daß ihm in den nächsten Minuten niemand helfen konnte. Er mußte das Geschäft allein machen. Als er die dunkle Gasse erreichte, trieben ihm feuchte Nebelschwaden ins Gesicht. Die Novembernacht war grau und ohne Licht. Man sah kaum das Geländer, das die Gasse gegen den Fluß hin abgrenzte. Chris Longman fürchtete sich mit einem Male vor seinen eigenen Schritten, die laut und hohl durch die Gasse schepperten. Er sah niemand. Er kam auch nur langsam vorwärts. So dicht wie heute war der Nebel noch niemals’ gewesen. Schwarzer Ruß mischte sich dazwischen. Dumpf gurgelte das Wasser der Themse. Chris Longman hatte fast die Rückfront der Austern Bar erreicht. Da sah er sich einem schwarzen Schatten gegenüber. Zögernd trat er einen Schritt näher. Es war Burt Lukin, der vor ihm stand. Sein dunkles Gesicht war eisig und unbewegt. Kalt starrte er auf sein Gegenüber. Die Hände hatte er in den Taschen vergraben. Er ist ein Teufel, dachte Chris Longman beklommen. Wer weiß, was er gerade wieder plant. Ich hätte eine Waffe mitnehmen sollen. Jetzt war es zu spät. Er konnte nicht noch einmal umkehren. Er tröstete sich damit, daß es vielleicht nicht lange dauern würde. Da er das düstere Schweigen nicht länger ertrug, machte er als erster den Mund auf.
„Haben Sie das Geld dabei?“ fragte er ungeduldig.
Der andere ließ sich Zeit. Er nahm die Hände nicht aus der Tasche. Regungslos verharrte er auf dem gleichen Fleck.
„Wer weiß außer Ihnen noch von dem Geheimnis?“ fragte er lauernd.
,,Niemand“, log Chris Longman schnell, Er glaubte, diese Antwort wäre besonders klug. Dabei war sie ein verhängnisvoller Fehler gewesen. Sie bedeutete seinen Tod.
„Hier“, sagte Burt Lukin und zog die Linke aus der Tasche. Geldscheine lagen in der hohlen Handöffnung. Chris Longman starrte gierig darauf hin. Er wollte das kleine Bündel hastig an sich nehmen. Er streckte beide Hände aus. Er kam ganz dicht heran.
Das war sein zweiter Fehler. Ein brutaler Schlag traf ihn in die Magengrube, daß er haltlos an das Geländer taumelte. Noch ehe er sich wieder aufrichten konnte, traf ihn ein krachender Hieb an die Schläfe. Chris Longman spürte, daß er ins Bodenlose stürzte. Der endlose Fall hörte nicht mehr auf. Schwarze Nacht breitete sich um ihn aus. Gähnende Leere war in seinem Hirn. Deshalb wußte er auch nicht mehr, was mit ihm geschah. Er spürte überhaupt nichts. Er war besinnungslos, als er über die Brüstung des Geländers kippte. Schwer schlug sein schlaffer Körper im Wasser auf. Stumm versank er in einem wirbelnden Strudel. Er kam nicht mehr zu sich. Die Themse wurde sein Grab.
12
Eine halbe Stunde war vergangen, seit sich Chris Longman aus dem Bouillonkeller entfernt hatte. Die Minuten schlichen träge dahin. Die Zeiger der Uhr rückten langsam auf Mitternacht vor.Buster Lorre rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Er rauchte eine Zigarette nach der anderen. Er war nur mehr ein jämmerliches Nervenbündel.
„Was ist denn los mit dir?“ brummte Steff Milligan kopfschüttelnd. „He, was hast du?“
„Es ist wegen Chris“, würgte Buster Lorre hervor. „Er müßte längst zurück sein. Da ist sicher etwas schief gegangen.“
„Wo ging er hin?“ fragte Huck Polland lauernd.
„Weiß nicht. Er hat nichts davon gesagt.“
Zehn Minuten wartete Buster Lorre noch. Dann brach er auf. Er nahm den Zettel aus der Tasche, den ihm Chris Longman zugesteckt hatte und verbrannte ihn über seinem Feuerzeug. Langsam entfernte er sich von den anderen. Unschlüssig und zaudernd stieg er die Treppe empor. Auch ihm wurde etwas mulmig zumute, als er die bleichen Nebelschwaden durch die Gasse ziehen sah. Feucht und faulig schlug ihm der Geruch des Wassers ins Gesicht. Mit schleppenden Schritten trottete er das Pflaster hinunter. Was will ich in der Wohnung eines Mörders, sinnierte er. Ich kann doch nicht allein dorthin gehen. Es wäre glatter Wahnsinn. Chris hat sicher einen Fehler gemacht. Er riskierte zuviel. Mit einem Mörder soll man nicht allein verhandeln. Er stockte plötzlich. Ein dunkler Schatten kam auf ihn zu. Ein dünner Lichtstrahl stach ihm in die Augen.
„Wer ist da?“ fragte Buster Lorre keuchend.
Es war Kommissar Morry, der vor ihm stand. Er machte
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