Kommissar Morry - Ich habe Angst
jung. Sie kassierte hier die Versicherungssumme und war dann für immer verschwunden.“
„Wie geht es weiter?" fragte Morry geduldig.
„Ein gewisser William Springer verunglückte tödlich auf einer Autotour, acht Tage, nachdem er sich bei uns hatte versichern lassen. Seine junge Frau saß neben ihm am Steuer. Der Wagen stürzte in einen Abgrund und wurde völlig zerschmettert. Mr. Springer war auf der Stelle tot. Seine Frau aber konnte sich retten. Sie erhielt anstandslos das Sterbegeld ausbezahlt und verschwand dann spurlos von der Bildfläche. So ähnlich war es auch bei Oliver Hay. Er war ein begeisterter Sportangler und bei uns mit zwölftausend Pfund versichert. Er hatte kurz vor Abschluß seiner Versicherung geheiratet. Da er ein leidenschaftlicher Angler war, saß er während seines Urlaubs immer am Lea River und ging seinem Vergnügen nach. Eines Morgens, als er wieder seine Angel auswarf, muß ihn eine Ohnmacht befallen haben. Er fiel ins Wasser und ertrank. Die junge Witwe kam und holte das Geld ab. Sie wurde seither nie mehr gesehen.
„Stop!" sagte Kommissar Morry lächelnd. „Ihr Argwohn hat viel für sich, Mr. Havard. Aber der Zufall richtet oft die schlimmsten Verwirrungen an. Warum sollte es nicht möglich sein, daß ein glücklicher Ehemann schon acht Tage nach der Hochzeit sterben muß? Das kann sich beliebig oft wiederholen, wenn es der Zufall so will."
„Aber bedenken Sie doch, Sir", warf Jack Havard kopfschüttelnd ein. „Immer wird kurz vor oder nach Abschluß der Versicherung geheiratet. Immer ist es die Frau, die den Ehemann überlebt. Und immer ist die Witwe nachher verschwunden. Das kann doch kein Zufall sein."
„Möglich, daß Sie mit Ihrem Verdacht recht haben, Mr. Havard", sagte der Kommissar leise. „Aber was nützt uns das? Wir brauchen Beweise, keine Vermutungen."
„Den endgültigen Beweis liefert Ihnen vielleicht der letzte Fall", sagte Jack Havard grübelnd. „Es handelt sich um eine gewisse Lydia Brandon. Sie heiratete vor kurzem einen pensionierten Admiral. Bereits einen Tag nach der Eheschließung mußte Norbert Scott sterben. Er wurde mit einer tödlichen Schußverletzung in der Nähe seiner Jagdhütte aufgefunden. Die Mordkommission kam zu dem Ergebnis, daß es ein bedauerlicher Unfall gewesen sei. Mr. Scott ist angeblich über eine Baumwurzel gestolpert. Als er stürzte, löste sich eine Kugel aus seiner Bocksflinte. Wir mußten natürlich zahlen, Kommissar. Zwanzigtausend Pfund. Gestern war Lydia Scott da und holte sich den Scheck ab. Ich bin sicher, daß man sie nie wieder sehen wird. Sie wird unter einem anderen Namen wieder auf neue Abenteuer ausgehen ..."
„Uns liegt natürlich daran, die Gesellschaft vor unnötigen Verlusten zu bewahren", mischte sich Direktor Egerton ein. „Ich komme allmählich zu dem gleichen Schluß wie Jack Havard. Hier stimmt etwas nicht, Sir! Diese Unfälle sind absichtlich herbeigeführt ..."
Der Kommissar dachte nach. Seine Blicke richteten sich forschend auf Jack Havard.
„Warum sagten Sie mir eben, der letzte Fall würde mir einen endgültigen Beweis liefern? Wo ist dieser Beweis?"
Jack Havard straffte sich. Er begann zu erzählen, wie er die Wohnung seines toten Vetters aufgesucht hatte und was dabei geschehen war.
„Man hielt mich für Henry Boswell, Sir", knirschte er zwischen zusammengebissenen Zähnen. „Man holte mich in die Wohnung eines gewissen Alban Lampard. Dort erhielt ich den Befehl, Lydia Brandon nach Mala Green zu begleiten. Sie sollte dort eine Stelle als Sekretärin bei Mr. Scott annehmen. Dieser Mann war überall als Schürzenjäger und Weiberheld bekannt. Es war also von vornherein klar, daß er auch Lydia Brandon nachstellen würde. Das tat er dann auch. Er war verrückt nach ihr. Er wollte sie unbedingt besitzen. Er heiratete sie schließlich und schloß zwei Tage vorher eine Lebensversicherung bei uns ab. Einen Tag nach der Hochzeit verunglückte er auf der Jagd."
Kommissar Morry trommelte gedankenvoll mit den Fingern auf der Schreibtischplatte. Er war aufmerksam geworden. In seinen Augen war plötzlich ein scharfer und wachsamer Glanz.
„Wo wohnt diese Lydia Scott jetzt?" fragte er gespannt.
„Weiß nicht, Sir!"
„Wie? Das müssen Sie doch wissen. Sie haben ihr doch sicher einen Brief geschickt."
„Jawohl, Sir! Der Brief ging nach Mala Green. Aber Lydia Scott wohnt nicht mehr in dem Haus ihres verstorbenen Ehemannes. Sie ist nach London verzogen. Sie wird irgendwo untertauchen und einen
Weitere Kostenlose Bücher