Kommissar Morry - Ich habe Angst
die Zentralheizung auszuschalten. Sie warf die Bettdecke zurück. Matt schimmerte ihre Haut durch die Dunkelheit. Und als sie dann doch endlich einschlief, träumte sie von Jack Havard. Sie sah sich mit ihm in einer Hochzeitskutsche durch sommerliches Land fahren. Es war alles voll Blüten und Sonnenschein. Das Leben zeigte sich von seiner heitersten Seite. Sie war glücklich, restlos glücklich. Aber als sie dann erwachte, war sie wieder allein in ihrem dunklen Zimmer. Enttäuscht blickte sie in die Finsternis. Ihre Lippen zogen sich bitter zusammen. Im nächsten Moment horchte sie betroffen auf. Sie hatte ein Geräusch gehört. Es war in ihrer Wohnung gewesen. Die Tür mußte leise ins Schloß gefallen sein. Hastig zog sie die Bettdecke über ihre Haut. Lauschend richtete sie den Oberkörper auf. Unruhig spähte sie zur Tür. Ihr Herz klopfte wie rasend. Sie wartete. Sie wartete mit fiebernden Nerven auf irgendein schreckliches Ereignis. Als sich die Tür zu ihrem Zimmer öffnete, schrie sie entsetzt auf. Ihre Augen wurden dunkel vor Angst. Mit versteinertem Gesicht blickte sie auf den Schatten, der sich langsam in den Raum schob. In der nächsten Sekunde wurde es hell. Die Deckenlampe flammte auf. Neben der Tür stand Steff Selby. Sein fuchsroter Haarschopf leuchtete wie Feuer. Grinsend schielte er auf die weiche Daunendecke.
„Das wird ja immer toller", fauchte Esther Harras empört. „Was haben Sie denn in meinem Zimmer zu suchen? Scheren Sie sich weg! Und zwar auf der Stelle!"
Steff Selby grinste nur und ließ sich auf den nächsten Stuhl fallen.
„Machen Sie nicht soviel Krach", brummte er abfällig. „Sie sollten lieber die Klappe halten. Ihre Chancen beim Chef sind gleich Null. Sie sollen sofort zu ihm kommen. Machen Sie sich fertig! Ich werde Sie begleiten."
„Zu wem soll ich?"
„Zu Alban Lampard."
„Jetzt, mitten in der Nacht?"
Steff Selby entblößte meckernd seine gelben Raucherzähne. „Er hat eben Sehnsucht nach Ihnen. Los, machen Sie keine Schwierigkeiten. Ich soll Sie unbedingt mitbringen, hat er gesagt."
Der Name Alban Lampard wirkte wie immer lähmend und furchterweckend auf Esther Harras. Sie mußte gehorchen. Es hatte keinen Sinn, sich gegen diesen Teufel aufzulehnen. Sie hätte damit nur alle Gefahren ins Unendliche vergrößert.
„Drehen Sie sich um", sagte sie leise. „Ich werde auf stehen."
Sie sprang aus dem Bett und griff nach ihrer Wäsche, die säuberlich auf der Frisierkommode lag. Sie kleidete sich in fiebernder Eile an.
„Wo wohnt Alban Lampard jetzt?" fragte sie stockend.
„Das geht Sie nichts an", brummte Steff Selby schroff. Er beobachtete sie aus den Augenwinkeln. Seine Miene verhieß nichts Gutes. Er war tückisch und hinterhältig wie der Herr, dem er diente.
„Los jetzt!" knurrte er ungeduldig. „Sie gehen ja schließlich nicht zu einer Modenschau. Für Alban Lampard sind Sie schön genug."
Sie verließen die Wohnung. Esther Harras schritt unwillkürlich auf ihren Wagen zu.
„Nichts da", raunte Steff Selby gereizt. „Sie fahren mit meiner Karre. Steigen Sie ein!" Esther Harras biß sich auf die Lippen. Was hatte das alles zu bedeuten? Ging diese nächtliche Fahrt wirklich zu Alban Lampard? Oder sollten noch größere Gefahren auf sie warten? War es vielleicht der Tod selbst, der am Ziel dieser gespenstischen Fahrt stand? Steff Selby trat ungestüm auf das Gaspedal. Die alte Karre schoß in wahnsinnigem Tempo durch die stillen Straßen. Sie fuhren durch Viertel, die Esther Harras nicht kannte. Sie hatte auch gar keine Zeit, die Straßenschilder zu studieren. Steff Selby wandte den Kopf zu ihr hin. Er war nun etwas zugänglicher.
„Möchte nur wissen, was der Alte hat", brummte er zwischen den Zähnen. „Er scheint nervös zu werden. Er wechselt ständig die Wohnung. Nirgends fühlt er sich mehr sicher. Das ist nun schon das dritte Mal in dieser Woche, daß Harley und ich eine neue Unterkunft für ihn suchen mußten. Er mietet nur noch möblierte Wohnungen. Das ist einfacher. Er kann dann ohne jedes Gepäck ein- und ausziehen."
Esther Harras sagte nichts. Nur ihre Gedanken arbeiteten. Vielleicht geht es bald zu Ende mit ihm, dachte sie in einer zaghaften Hoffnung. Vielleicht ist die Polizei bereits auf seiner Fährte. Ich wäre der glücklichste Mensch, wenn er endlich hinter Schloß und Riegel säße. Der Wagen fuhr durch ein Tor und hielt in einem dunklen Garagenhof. Der Motor erstarb. Es war still ringsum und völlig finster.
„Kommen Sie!"
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