Kommissar Morry - Ich habe Angst
Miß Harras", raunte Alban Lampard mit kalter Stimme. „Sie werden einen Auftrag erhalten, der Sie von London fernhält. Kennen Sie das Städtchen Averon?"
„Ja, Sir! Es ist etwa vierzig Meilen von London entfernt."
Alban Lampard nickte.
„Dort werden Sie für die nächste Zeit leben, Miß Harras! Sie können dann endlich einmal zeigen, was in Ihnen steckt. Der Auftrag wird nicht leicht sein. Aber er wird eine Menge Geld ein- bringen. Bisher haben Sie noch nie etwas Vernünftiges geleistet. Im Gegenteil, Sie machten uns nichts als Schwierigkeiten. Aber nun bekommen Sie Gelegenheit, Ihre Tüchtigkeit zu beweisen."
Er sah sie schief und lauernd an. Über sein verschwommenes Gesicht lief ein hähmisches Lächeln.
„Während Sie weg sind, wird Jack Havard allein sein. Niemand wird ihn warnen. Er wird ahnungslos in die Falle gehen. Kein Hahn wird mehr nach ihm krähen, wenn Sie zurückkehren. Er dürfte, aller Voraussicht nach, nie wieder Ihren Weg kreuzen. Harley Poole wird dafür sorgen.“
16
Es war nach Feierabend. Der Direktor Charles Egerton saß noch mit seinem Prokuristen in dessen Bürozimmer zusammen.
„Hat dieser Professor nun schon wegen einer Lebensversicherung vorgesprochen?" fragte er mit gefurchter Stirn. „Sie wissen doch, wen ich meine?"
„Natürlich, Sir", sagte Jack Havard grübelnd. „Sie sprechen von William Cavell, der Lydia Blomfield als Schreibhilfe engagierte. Ich habe bis heute täglich auf sein Kommen gewartet. Aber er läßt sich Zeit. Lydia Blomfield scheint es diesmal nicht eilig zu haben. Sie wird erst abwarten wollen, bis sich die Aufregung gelegt hat."
„Was macht denn dieser Kommissar?" fragte Direktor Egerton ungeduldig. „Hat er schon etwas erreicht? Wo steckt er denn eigentlich?"
„Er läßt den Professor überwachen. Tag und Nacht sind ein paar Detektive in seiner Nähe. Sie tragen natürlich Zivil. Sie sind als Zeitungsträger, Dienstmänner und Obstverkäufer unterwegs. Das Leben Professor Cavells ist also in guter Hut."
„Na ja", meinte Charles Egerton ohne große Begeisterung. „Das ist ja alles ganz schön. Aber was soll ich dem Aufsichtsrat sagen, wenn er in der nächsten Woche zur Sitzung Zusammentritt? Wir brauchten bis dahin irgendeinen Erfolg. Einen Glückstreffer, der uns ..."
Jack Havard blickte auf seine Uhr.
„Ich werde nachher gleich nach Bermondsey fahren", meinte er. „Vielleicht treffe ich Lydia Brandon. Sicher weiß sie wieder etwas Neues zu berichten. Ich werde Ihnen morgen erzählen, was ich in Erfahrung bringen konnte."
Eine halbe Stunde später war Jack Havard mit dem Bus nach Bermondsey unterwegs. Er stieg am Abbey Square aus und ging auf das Haus Professor Cavells zu, das unmittelbar am Public Park gelegen war. Er wanderte eine Weile vor dem Anwesen auf und ab und machte sich auf eine lange Wartezeit gefaßt.
Aber er hatte das unverschämte Glück, Lydia Blomfield schon nach zehn Minuten jenseits des Zaunes zu erblicken. Sie trug einen dunklen Mantel und eine Stadttasche über dem Arm. Anscheinend wollte sie ein wenig bummeln. Sie kam auf die Straße heraus und ging langsam den Gehsteig entlang. Als sie Jack Havard erblickte, flog ein zaghaftes Lächeln über ihr verhärmtes Gesicht. Sie kam sofort auf ihn zu. Sie ging neben ihm her, als hätte sie schon immer zu ihm gehört.
„Wie nett, daß Sie mich aufsuchten“, sagte sie bedrückt. „Gerade heute wußte ich mir gar keinen Rat mehr. Was soll ich machen, Mister Havard? Dieser Professor ist um kein Haar anders als Norbert Scott. Auch er macht mir bereits wieder das Leben schwer. Er hat mir seine Liebe gestanden. Er will mich heiraten. Er sagt, er hätte das Junggesellendasein satt und brauchte eine Frau, die das stille Haus mit Wärme und Behaglichkeit erfüllt ..."
„Na, dann freuen Sie sich doch", sagte Jack Havard herb. „Ihre Rechnung geht wieder einmal auf."
„Es ist die Rechnung Alban Lampards, nicht meine", sagte Lydia Blomfield fröstelnd. Sie blickte sich suchend um. Anscheinend war sie zu müde zum Gehen. Sie wollte sich irgendwo ausruhen.
„Hier in der Nähe ist eine Teestube", sagte Jack Havard. „Kommen Sie mit! Ein heißes Getränk wird Ihnen gut tun."
Lydia Blomfield lehnte jedoch ab. Sie hatte Angst, man könnte sie belauschen.
„In einer Teestube gibt es viele neugierige Ohren", sagte sie beklommen. „Alban Lampard hat seine Helfer überall. Ich weiß es. Sie schnüffeln ewig hinter mir her. Gehen wir lieber ein Stück in den Park hinaus,
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