Kommissar Morry - Opfer des Satans
zwischen seinem Vorgesetzten und ihm betreffs des zurückgekehrten Sohnes dachte, verstand er plötzlich die Handlung des Chefs.
Mit der unnachahmlichen Haltung eines wohlerzogenen Dieners, als den sich Kenton vergeblich zu imitieren bemühte, praktizierte der Butler die Visitenkarte auf ein silbernes Tablett und führte die beiden Beamten in die geräumige Halle. Wenige Augenblicke später standen sie Stanley Belmont und seinem Sekretär Henrik Alsen gegenüber. Während der dienstbare Geist des Hauses den versammelten Herren auserlesene Zigarren und sehr alte Schnäpse anbot, musterte Kommissar Morry heimlich das verschlossene Gesicht Stanley Belmonts. Er fand den Mann nicht unsympathisch. Ganz im Gegenteil! Man hätte ihn für einen Offizier in Zivil halten können, vielleicht auch für einen Herrenreiter oder einen erfolgreichen Sportsmann. Auf keinen Fall sah er wie ein Mörder aus. Aber Kommissar Morry wußte aus langjähriger Erfahrung, daß man sich auf den Augenschein nicht verlassen durfte. „Was haben Sie uns zu melden, Mr. Belmont?“ fragte er förmlich.
„In diesem Schloß wurde heute nicht eingebrochen“, sagte Stanley Belmont ebenso kühl. „Der Kammerdiener machte mich heute früh darauf aufmerksam, daß der Tresor im Privatsalon meines Vaters aufgesprengt wurde. Die Schubläden und Fächer sind zum größten Teil ausgeraubt worden. Ich wollte sofort meinen Stiefbruder verständigen. Aber ich konnte ihn nirgends finden. Cecil ist bis jetzt nicht zurückgekehrt.“
Kommissar Morry horchte kaum auf die nüchterne Meldung. Noch immer lagen seine Blicke forschend auf dem Gesicht des geheimnisvollen Heimkehrers. Wie schade, dachte er, daß die schottischen Kollegen nicht einen einzigen Fingerabdruck des Mörders ermitteln konnten. Wie leicht wäre dann unsere Aufgabe. Ich wüßte noch in dieser Minute, ob Stanley Belmont schuldig ist oder nicht.
Laut sagte er: „Begleiten Sie uns bitte nach oben, Mr. Belmont.“
Er ließ den rätselhaften Mann vorausgehen und folgte ihm mit wachsamen Blicken.
„Sind Sie verletzt?“ fragte er, als sie die Empore des Mitteltrakts erreichten. „Sie hinken etwas.“
„Sie haben recht“, gab Stanley Belmont mit kühlem Lächeln zurück. „Ich hatte vor kurzem wieder einmal einen Jagdunfall. Ich bin nämlich ein begeisterter Jäger, müssen Sie wissen. Bei einer Treibjagd in Irland traf mich der Schuß eines Sonntagsjägers in die linke Schulter. Zu allem Unglück brach ich mir beim Sprung über einen Wassergraben noch ein Bein. Es wird einige Zeit dauern, bis ich die Verletzungen ganz auskuriert habe.“
„Ich bin auch ein Jäger“, sagte der Kommissar Morry mit dunkler Stimme. „Nur mit dem Unterschied, daß ich Jagd auf Menschen mache. Sie ist vielleicht noch aufregender als die Ihre, Mr. Belmont.“
Sie hatten den Privatsalon erreicht. Schon von der Tür aus sah man den erbrochenen Wandtresor. Auf dem Boden lagen ein paar lose Geldscheine und zerbrochene Broschen. In allen Ecken des Zimmers flatterten Papiere herum. Die Zugluft, die vom offenen Fenster herwehte, wirbelte sie raschelnd durcheinander.
„Haben Sie einen Verdacht, wer der Täter sein könnte?“ fragte Kommissar Morry scheinbar zerstreut.
Stanley Belmont zuckte mit den Achseln. „Ich will niemand verdächtigen“, erwiderte er wortkarg. „Die Dienerschaft kommt sicher nicht in Frage. Da dieses Fenster heute morgen offen stand, ist der Täter sicher von außen eingestiegen.“
„Untersuchen Sie den Schrank auf Fingerabdrücke“, sagte Kommissar Morry leise zu seinem Wachtmeister. „Sichern Sie auch auf dem Fensterbrett und auf dem Fußboden alle Spuren. Ich möchte mich noch ein wenig mit Mr. Belmont unterhalten.“
Er trat ans Fenster und winkte Stanley Belmont zu sich heran. „Ein wundervoller Besitz, den Sie da eines Tages erben werden“, meinte er anerkennend. „Der Park allein ist ein Vermögen wert.“
„Ich werde hier nichts erben“, entgegnete Stanley Belmont verschlossen. „Cecil wird die Besitzungen und den Lordtitel übernehmen. So wird es auch sicher im Testament geschrieben sein.“
„Wann ist denn nun eigentlich die Testamentseröffnung?“
„Ich sprach“, murmelte Stanley Belmont, „gestern Nachmittag mit Reginald Bird, dem Anwalt meines Vaters. Er erzählte, mir, daß es der Wunsch Lord Harrows war, das versiegelte Testament erst drei Monate nach seinem Tod zu erbrechen. Bis dahin ist Mr. Bird zum Verweser des gesamten Vermögens
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