Kommissar Morry - Opfer des Satans
Duckett mürrisch. „Der Bursche ging seinerzeit von uns weg und ließ nie mehr was von sich hören. Glaubte schon, er sei ins Ausland getürmt. Was hat er nun einmal in Harrow Castle zu suchen? He, was soll der ganze Zauber?“
„Ich weiß nicht“, stieß Jack Ebor hervor. „Ich kann mir wirklich keinen Reim darauf machen. Deshalb war ich ja so perplex, verstehst du? Vielleicht ist dieser umsichtige Bursche unter die Zinker gegangen. Vielleicht auch unter die Mörder. Was weiß ich? Auf jeden Fall führte er nichts Gutes im Schilde.“
Sie redeten hin und her, bis sie in Poplar eintrafen. Die Schenke „Zum blauen Hai“, wie sich das stolze Lokal Lilly Ravens nannte, war noch hell erleuchtet. Unter der offenen Tür standen Liebespaare und Schlepper. Nur mit Mühe konnten sich Jack Ebor und Slim Duckett durch die sturen Leute zwängen. Als sie es endlich geschafft hatten, zog Jack Ebor seinen Kumpan in eine abgelegene Ecke des Hausflurs.
„Hast du was auf die Seite geschafft?“ fragte er hastig.
„Ganz klar“, brummte Slim Dukett trocken. „Wir werden ab morgen goldene Manschettenknöpfe und hochkarätige Krawattennadeln tragen. Überdies habe ich noch hundert Goldfüchse in meine Socken gestopft. Wir werden sie später teilen. All right?“
„All right“, murmelte Jack Ebor in tiefster Befriedigung. Drei Minuten später überreichten sie Cecil Harrow mit biederen Gesichtern ihre Beute.
„Mehr konnten wir in der Eile nicht einpacken“, sagte Slim Duckett trocken. „Wurden nämlich mitten beim Kassieren gestört.“
„Verdammt! Von wem?“ erkundigte sich der junge Harrow gespannt, ohne jedoch den Verdacht zu hegen, daß die beiden sauberen Gentlemen ihn etwa betrogen haben könnten.
„Tut nichts zur Sache“, meinte Jack Ebor ungeduldig. „Zur Familie wird er allerdings nicht gerade gehören. Außerdem, der Mann erkannte uns ja nicht. Auf jeden Fall haben wir uns unseren Anteil ehrlich verdient. Cecil Harrow straffte die Brust unter einem befreiten Atemzug, als die Banknotenbündel, Goldmünzen und Schmuckstücke auf dem Tisch lagen. Großzügig trat er ein Drittel davon ab.
Dann begann er erregt seinen Anteil zu schätzen.
„Mindestens zweitausend Pfund“, würgte er gepreßt hervor. „Es sind bestimmt zweitausend Pfund. Nun endlich ist es genug, um Baldwin Huxley für immer den Mund zu stopfen. Kein Mensch kann in dieser Stunde glücklicher sein als ich.“
Seine Blicke, streiften Sim Duckett und Jack Ebor.
„Ich danke euch“, murmelte er überschwänglich. „Ich bin euch zum größten Dank verpflichtet.
„Oh, keine Ursache“, sagte Slim Duckett mit der Miene eines Ehrenmannes.
8
Am nächsten Morgen um neun Uhr rief Stanley Belmont die Vermittlung in Scotland Yard an und bat den Beamten, sofort jemand nach Harrow Castle zu schicken, da sich während der Nacht ein rätselhafter Einbruch ereignet habe. Für die Aufklärung des Verbrechens hätte eigentlich auch ein Sergeant genügt. Um so erstaunlicher war die Tatsache, daß Kommissar Morry höchstpersönlich am Tatort erschien. In seiner Begleitung befand sich wie immer Wachtmeister Kenton. Zu dessen Verwunderung zeigte Morry dem öffnenden Butler nicht etwa den Dienstausweis, sondern übergab ihm seine Visitenkarte. Für den Besuch in einem vornehmen Haus an und für sich eine Selbstverständlichkeit, allerdings, der Kommissar pflegte in umgekehrter Einhaltung gesellschaftlicher Formen das sonst nur in Verbrecherkreisen zu tun. Diese ,höfliche“ Geste hatte viel zu dem Ruf Morry's, einer der gefürchtetsten Kriminalisten im Yard zu sein, beigetragen, wie ja überhaupt sehr häufig gewisse Besonderheiten eines Menschen seine Persönlichkeiten populärer machen als die von ihm errungenen Erfolge. Wenn auch böse Zungen behaupteten, der Leiter des Sonderdezernates erweise mit dieser Marotte der Unterwelt seine Ehrerbietung als quasi seinem indirekten Brötchengeber — denn schließlich nötigt die Existenz des Abschaums der Menschheit den Staat ja zur Beschäftigung einer Polizeigewalt und sicherte damit den Lebensunterhalt Morry's — so sprach eine gewichtige Tatsache gegen diese Anschauung. Die meisten derjenigen Verbrecher nämlich, die jemals in den Besitz einer solchen Karte gerieten, verbrachten anschließend einen Gutteil ihres Daseins hinter schwedischen Gardinen, beziehungsweise der Henker legte ihnen den Strick um den Hals. Eben aus dem Grunde wunderte sich Wachtmeister Kenton. Als er jedoch an das Gespräch
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