Kommissar Morry - Opfer des Satans
Anscheinend glaubt er, ich würde ihm sein Erbe streitig machen.“
Sie saßen noch eine Weile zusammen und plauderten über dieses und jenes.
Da kam plötzlich der Butler an den Kamin heran. Er trug ein silbernes Tablett in der Rechten. „Ein Brief wurde für Sie abgegeben, Sir“, wandte er sich an Stanley Belmont. „Ein Dienstmann gab ihn bei mir ab.“
„Merkwürdige Sitten“, murmelte Stanley Belmont erstaunt. Als sich der Butler entfernt hatte, erbrach er gemächlich das Kuvert und nahm den Briefbogen heraus. Es war ein ganz gewöhnlicher Zettel, der ihm in die Hände geriet. Der Schreiber hatte einfach ein Blatt aus einem Notizbuch herausgerissen.
„Wenn Sie etwas über den Tod Ihres Vaters erfahren wollen, so kommen Sie heute Abend nach Mayfair in die Suzzler Street, Nr. 38. Ich kann Ihnen den Namen des Mörders nennen. Allerdings müßten Sie sich die Sache etwas kosten lassen. Ich erwarte Sie im ersten Stock des Hauses.“
Stanley Belmont reichte den Zettel hastig seinem Sekretär hinüber.
„Was halten Sie davon?“ fragte er gespannt. „Der Zettel trägt weder Unterschrift noch Absender. Können wir dem Schreiber vertrauen?“ „Ich weiß nicht recht“, murmelte Henrik Alsen skeptisch. „Ich würde an Ihrer Stelle nicht hingehen. Wer weiß, in welche Falle man Sie da locken will. Seit wir in London sind, ist immerhin schon einiges passiert. Ich traue dem Frieden nicht.“
„Hm“, murmelte Stanley Belmont. „Eigentlich haben Sie recht, Alsen. Es ist vielleicht eine unverzeihliche Torheit, wenn ich dieses Haus in der Suzzler Street betrete.“
Er überlegte hin und her. Es dauerte einige Minuten, bis er zu einem Entschluß kam.
„Ich werde trotzdem gehen“, entschloß er sich dann energisch. „Wenn ich meine Waffe mitnehme, bin ich vor jeder Überraschung sicher. Sie werden mich begleiten, Alsen. Einverstanden?“
„Einverstanden, Sir“, lächelte der Sekretär tapfer.
Kurz vor zehn abends brachen sie auf. Sie fuhren mit einer Taxe nach Mayfair und ließen sich von dem Chauffeur die Lage der Suzzler Street beschreiben.
„Oh, du lieber Gott“, sagte der Fahrer mitleidig. „Wenn Sie sich amüsieren wollen, meine Herren, dann dürfen Sie sich nicht gerade die Suzzler Street aussuchen. Das ist so ziemlich die finsterste Ecke des Vergnügungsviertels. Ich würde eher die Oxford Street vorschlagen, oder die...“
„No, wir bleiben bei der Suzzler Street“, erklärte Stanley Belmont entschieden „Fahren Sie uns so nahe wie möglich heran. Und jetzt kein Wort mehr darüber.“
Der Chauffeur hielt an einer finsteren Straßenecke. „Hier hinein“, sagte er brummig. „Sie werden ja selbst sehen, wohin Sie hier geraten sind. Ich hätte Ihnen etwas viel Besseres empfohlen.“
Stanley Belmont zahlte den Fahrpreis und stieg aus. Der Sekretär folgte ihm dicht auf den Fersen. Als der Chauffeur den Wagen gewendet hatte, gingen sie zaudernd in die finstere Gasse hinein. Es war kaum glaublich, hier in Mayfair ein derartiges Elendsviertel zu finden. Keine einhundert Meter entfernt erstrahlten die Vergnügungspaläste und lärmten die Jazzkapellen. Hier in diesen winkeligen Hinterhöfen dagegen war die bitterste Armut zu Hause. Die dumpfen Gerüche machten das Atmen schwer. Das Auge sah nichts als graue Farbe und brüchige Häuserwände.
„Hier ist es“, sagte Henrik Alsen plötzlich. „Wir sind da, Sir! Komisch, das Haus liegt völlig finster.“
Stanley Belmont starrte kopfschüttelnd auf das baufällige Gebäude. Es machte den Eindruck, als sei es von seinen Bewohnern längst geräumt worden. Die Fensterscheiben waren erblindet und zum Teil erbrochen. Auf den Stufen, die zur Tür hinaufführten, wucherte Gras zwischen den Ritzen. Stanley Belmont nahm unschlüssig die Pistole aus der Tasche. „Wenn wir schon hier sind, werden wir nicht unverrichteter Dinge wieder umkehren“, meinte er entschlossen.
Er drückte gegen die morsche Tür. Sie gab nach. Mit schrillem Krächzen schwang sie zur Seite. Der Hausflur war dunkel. Es gab keinen Lichtschalter. Sie mußten sich mit ihrem Feuerzeug behelfen. Langsam und vorsichtig tappten sie die Treppe hinauf, die in den ersten Stock führte.
„Hallo!“ rief Stanley Belmont laut. „Ist da jemand?“
Sie bekamen keine Antwort.
Das Haus lag schweigsam wie eine Gruft. Nirgends ein Laut. Nirgends ein Lebenszeichen.
„Seltsam!“ murmelte Stanley Belmont mißtrauisch. „Ich dachte, wir würden hier erwartet. Sollten wir tatsächlich in
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