Kommissar Pascha
entschlüsseln. Bevor der Kommissar jedoch erfuhr, was mit den Reißnägeln auf dem Körper des Opfers hinterlassen worden war, wurde der Geistliche von einem Jungen ans Telefon gerufen. Geduldig trank Demirbilek seinen Tee und wartete, bis der Imam zurückkehrte.
»Bülent war kein Teufel,
Komiser Bey
«, sagte der Geistliche mit gesenkter Stimme.
Demirbilek, der den Namen des Opfers nicht erwähnt hatte, musterte ihn fragend.
»Ich weiß, dass Bülent der Tote ist. Seine Frau hat eben angerufen, um sich wegen der Beerdigung zu erkundigen.«
»Gut. Aber was hat Bülent mit dem
Teufel
zu tun?«, fragte Demirbilek.
»Das steht auf Bülents Brust geschrieben –
Schaitan
auf Arabisch«, erklärte der Imam und intonierte das Wort mit tiefer Stimme.
Warum machte sich der Mörder die Mühe, auf so dramatische Weise das Opfer als Teufel zu beschuldigen, wenn es dafür keinen Grund gibt?, fragte sich der Kommissar.
»Sie kannten Bülent?«
»Er und sein Bruder Ali kamen an Feiertagen und hin und wieder freitags zum Beten.«
»In den letzten Wochen auch?«
Der Imam dachte nach und trank von seinem Tee. »Nein. Nicht in letzter Zeit.«
»Sie glauben also nicht, dass Bülent ein Teufel war.«
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, sagte der Imam bedacht. »Zur Moschee kam er mit seinen Kindern. Auch, wenn das nichts heißen muss. Um
Schaitan
zu sein, muss man Allah abgeschworen haben.«
Nach der Feststellung versank der Imam in ein langes Gebet. Zeki Demirbilek harrte aus, lauschte der Stimme und dem Klappern der Gebetskette, obwohl er den auf Arabisch betenden Geistlichen nicht verstand. Im Anschluss bot ihm der Imam einen weiteren
çay
an. Demirbilek lehnte höflich ab. Er bedankte sich für die Unterstützung mit einer Spende für die Armen der Gemeinde. Der Imam bat im Gegenzug Allah um Beistand für den
Komiser Bey.
Der Allmächtige möge ihm Kraft, Geduld und Ideen geben, damit er den schändlichen Mörder dingfest machen konnte. Demirbilek hoffte ganz profan, dass die neue Information die Ermittlung weiterbrachte. Gestärkt durch die guten Wünsche beschloss er, vor der Rückkehr ins Büro einen Abstecher in privater Sache zu machen.
[home]
14
Z ur Unibibliothek!«, rief Demirbilek beim Einsteigen dem Taxifahrer zu, der mit einem grantigen »Grüß Gott, so viel Zeit muss sein« antwortete. »Ein bisschen genauer darf’s schon sein. Geschwister-Scholl-Platz, oder wo wollen wir denn hin?«
»Sie fahren auf kürzestem Weg Ludwigstraße Ecke Schelling, machen bitte schön das Radio aus und lassen mir hier hinten meine Ruhe«, antwortete Demirbilek mit finsterer Miene in den Rückspiegel, was den Taxifahrer bewog, ohne einen weiteren Kommentar loszufahren.
Während der Fahrt grübelte der Kommissar, welche Bewandtnis es mit dem Wort Teufel auf der Brust des Toten haben könnte. Was hatte Bülent Karaboncuk angestellt, um aus Sicht des Täters als Teufel gebrandmarkt zu werden? Hatte es mit seiner gesetzwidrigen Arbeit im Sultans Harem zu tun? Warum hatte er als Arbeitsloser Geld und redete im Schlaf von einer anderen Frau, wie die Witwe ausgesagt hatte?
Ungewollt musste er an ihr schönes Gesicht denken. Wie es wohl war, verschleiert in München zu leben? Glaubte man, sie sei eine wohlhabende Araberin, eine aus einer Scheichfamilie, die in den Luxusgeschäften der Maximilianstraße ihr Geld ließ, während der Ehemann im Klinikum rechts der Isar hochherrschaftlich behandelt wurde? Oder wurde sie angefeindet? Wut kochte in ihm hoch. Über sich selbst. Wie konnte er alles, was er bisher erreicht hatte, wegen einer verwirrten alten Frau in Frage stellen? Er wusste es nicht, dennoch entsprach es dem Sachverhalt. Mit musternden Blicken und abschätzigen Äußerungen von Tätern, aber auch Opfern, denen er zu helfen versuchte, wusste er umzugehen. Da war er absolut rigoros und erstickte Anfeindungen, was seine Herkunft betraf, im Handumdrehen. In der Regel reichte eine wohldosierte Drohung.
In der Schellingstraße angekommen, grinste Demirbilek in das verdutzte Gesicht des Taxifahrers, der aufgrund seiner grantigen Bemerkung nicht so ein hohes Trinkgeld erwartet hatte. Demirbilek betrat über den Hintereingang die Bibliothek und entdeckte Frederike am Informationsschalter. Sie war in ein Buch vertieft. Eine beeindruckende Frau, zweiundvierzig Jahre, mit gepflegtem Gesicht und langen, glänzend braunen Haaren, die schuld daran waren, dass er sie auf dem Weihnachtsmarkt am Weißenburger Platz kennengelernt
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