Kommissar Pascha
Corneliusbrücke. Bring Bier mit!« Unterschrieben hatte nur Özlem. Was hatte das nun wieder zu bedeuten?, schoss es ihm durch den Kopf.
Mit einem flauen Gefühl im Magen machte sich Zeki auf den Weg. Es war nicht weit. Ein fünfzehnminütiger Spaziergang an einem lauen Sommerabend. In einer Kneipe besorgte er drei kühle Bier. An der Corneliusbrücke herrschte, wie überall an der Isar, Hochbetrieb. Lachende und fröhliche Menschen, die das Leben in der Großstadt genossen. Mit Bier und Sekt an Lagerfeuern. Im Sommer kämpften die umliegenden Kneipen und Cafés schwer gegen die Konkurrenz – der renaturierten Isar.
Natürlich wusste Demirbilek, was seine Tochter mit ihrer Nachricht meinte. Früher, als sie bei ihm gewohnt hatte, waren sie sonntags oft an der Corneliusbrücke gewesen. Mit Blick auf den Fluss erzählten sie sich, was während der Woche
Schlechtes
und
Gutes
vorgefallen war. Immer abwechselnd, das war die Regel, die Özlem aufgestellt hatte. Das war die einzige Chance, von der Arbeit ihres Vaters zu erfahren.
Demirbilek blieb abrupt stehen, als er die beiden sah. Özlem und Aydin. Ein angeheiterter Mann mit Hund rannte in ihn hinein. Gegen seine Art verlor er darüber kein Wort. Still sah er zu seinen Kindern. Aydin hatte sich verändert. Er erkannte seinen Sohn kaum wieder. Er war erwachsen geworden, natürlich. Aydin lachte und reichte der Frau, die zwischen ihm und Özlem auf einer Jacke auf dem Boden saß, eine kleine Flasche Bier. Demirbilek begann leicht zu wanken, als er Selma erkannte. Er setzte sich auf einen der großen Steine und dankte Allah. Seine verlorene Familie genoss zwanzig Meter entfernt den schönen Sommerabend. Demirbilek ließ die Plastiktüte mit den Bierflaschen zu Boden sinken und suchte nach einem Taschentuch. In seiner Aufregung fand er keines.
Aydin schließlich entdeckte ihn. Er beobachtete, wie sein Vater, den er fünf Jahre lang nicht gesehen hatte, vergebens versuchte, sich von dem Stein zu erheben. Ihm schien schummrig vor Augen zu sein. Müde sank er zurück.
Tatsächlich war Demirbilek erschöpft von den Ereignissen des Tages. Sie hatten an seinen Kräften gezehrt. Vor seinem inneren Auge sackte wie in Zeitlupe Florian Krust zusammen. In der Blutlache neben seiner Kopfwunde spiegelte sich Gül Güzeloğlu als Gespenst mit dem Seil um den Hals. Der Schuss, der ihn knapp verfehlt hatte, prallte an der Glasscheibe des Flügelfensters zurück und durchbohrte seinen Körper.
Das verwirrte Gesicht seines Vaters im Blick, rannte Aydin mit besorgter Miene auf ihn zu. Seine Schwester lief hinterher, nach einer Weile stand Selma auf und folgte. Demirbilek schüttelte die beängstigenden Gedanken ab und ließ sich von seinen Kindern auf die Beine helfen. Dabei sah er Aydin fest in die Augen. Die Kraft, mit der ihn sein Vater an sich zog und in die Arme nahm, schien Aydin zu beruhigen, denn seine Miene hellte sich auf. Mit seinem Sohn im Arm blickte Demirbilek zu Selma. Sie freute sich, ihn wiederzusehen. Das spürte Demirbilek mit jeder Faser seines Körpers.
Von der Corneliusbrücke aus beobachtete der Deutsche, der sich noch am Nachmittag in Blaumann und mit Schirmmütze unter die Arbeiter der Umzugsfirma geschmuggelt hatte, wie die zwei jungen Leute, der Polizist und die Frau sich nach innigen Umarmungen wieder an den Fluss setzten und Bier tranken.
Bier hatte in der bayerischen Kultur eine ähnliche Funktion wie bei uns
çay,
stellte er fest. Er verstand nicht, wie eine türkische Familie auf die Idee kommen konnte, Alkohol zu trinken. Dann verlor er das Interesse an seinen Beobachtungen und steckte die Stöpsel seines Walkmans ins Ohr. Die gute alte CD war ihm lieber als MP 3 s. Noch lieber wäre ihm ein tragbarer LP -Player. Er belächelte seine absurden Gedanken, bevor er die CD startete. Rammstein. Neben Kraftwerk das Beste, was Deutschland an Musik je hervorgebracht hat. Vor vielen Jahren beglückte er seine Truppe mit den martialischen und hinreißend poetischen Liedern. Die Kameraden liebten ihn bis heute dafür.
Mit der Musik im Ohr holte er seine Spiegelreflexkamera aus der Umhängetasche. Er klappte seine Magnetbrille auseinander, ließ sie um den Hals baumeln und fotografierte die türkische Familie mit dem Zoom. Man konnte nie wissen, für was die Aufnahmen gut sein konnten.
Der Deutsche verstaute seine Kamera wieder in der Tasche und marschierte über die Corneliusbrücke Richtung Glockenbachviertel. Er überlegte, da er selbst Lust auf Bier
Weitere Kostenlose Bücher