kommt wie gerufen
hoch und sagte leise: »Haben Sie auch diese Nadelstiche im Arm?«
»Stiche?« wiederholte Mrs. Pollifax unsicher und starrte entsetzt seinen Arm an. Der wies mehrere grellrote Punkte auf und dort, wo das Heftpflaster befestigt und dann abgerissen worden war, sah man den schwachen Abdruck des Klebestreifens. Mrs. Pollifax war besonders aufgeregt, weil sie, seit sie wach war, ständig ihren Arm gekratzt hatte. Sie zog ihre Jacke aus und starrte ihren Arm an.
»Was ist das?« fragte sie endlich.
»Ich glaube, man hat uns intravenös ernährt.«
»Intra – « Sie schnappte nach Luft. »Aber warum?«
»Um uns am Leben zu halten.« Er beugte sich näher und sagte gedämpft: »Das ist aber noch nicht alles. Das Flugzeug, das ich in Mexiko landen hörte, war eine Propellermaschine. Jetzt aber sitzen wir in einem Düsenflugzeug.«
Betroffen nahm Mrs. Pollifax das Motorengeräusch zur Kenntnis.
»Ja, tatsächlich!« Sie sah ihn ungläubig an. »W-was hat das Ihrer Meinung nach zu bedeuten?«
»Ich denke, wir waren bedeutend länger bewußtlos, als wir angenommen haben. Vermutlich nicht nur wenige Stunden, sondern einen ganzen Tag. Ich glaube, daß wir gestern in der Hütte gewesen sind, nicht heute. Wahrscheinlich sind wir tagsüber irgendwo gelandet, haben das Flugzeug gewechselt und unsere Freunde haben uns vorsichtshalber künstlich ernährt, damit wir ihnen nicht unter den Händen sterben.«
Mrs. Pollifax legte ihre Karten fort. Es war nicht schwierig, seine Gedanken bis zum logischen Ende zu verfolgen. »Aber Düsenmaschinen sind doch sehr schnell«, sagte sie und ließ ihn nicht aus den Augen. »Und wenn wir schon so lange fliegen – «
Er nickte. »Genau. Ich glaube. Sie werden Kuba nun doch nicht sehen.«
»Aber wohin…« Mrs. Pollifax brach ab. Es war bestimmt viel klüger, diese Frage nicht zu stellen. Statt dessen sagte sie mit einer Stimme, die nur ganz wenig bebte: »Ich hoffe. Miß Hartshorne denkt daran, meine Geranien zu gießen.«
8
Es war immer noch Nacht, als sie an Höhe verloren, und Mrs. Pollifax fühlte die gleiche ängstliche Erregung wie als Kind, wenn der Zahnarzt sie ins Behandlungszimmer gerufen hatte. Sie drückte das Gesicht an die Scheiben und starrte erstaunt auf merkwürdige Krümmungen und Erhebungen.
»Berge«, sagte Farrell stirnrunzelnd. »Sehr hohe Berge, manche sogar verschneit.« Sein Blick schweifte abschätzend und prüfend von den Bergen zu den Sternen, und seine Augen wurden schmal.
Mrs. Pollifax beobachtete ihn erwartungsvoll, aber er verriet nicht, was er dachte. Der Flug ging weiter, und Farrells Blicke pendelten ständig zwischen Himmel und Erde. »Gleich werden wir landen«, sagte er plötzlich.
Mrs. Pollifax stemmte sich gegen den Fußboden – Sicherheitsgurte gab es keine – und schon raste die Erde mit schwindelerregendem Tempo an ihr vorbei, sie berührten den Boden und blieben unter starkem Holpern stehen. Mrs. Pollifax packte ihre Karten zusammen und steckte sie in ihre Tasche. Die Tür der Flugkanzel öffnete sich und zwei Männer, die sie noch nicht gesehen hatte, traten ein. Einer von ihnen trug einen Revolver, der andere zog Schlüssel hervor und sperrte ihre Fußringe auf. Beide waren Chinesen. Die Tür wurde zurückgezogen, und Mrs. Pollifax und Farrell wurde bedeutet auszusteigen. Das war gar nicht so einfach, denn sie mußten über eine Holzleiter klettern, die am Flugzeug lehnte und deren Sprossen nur von einer Taschenlampe beschienen wurden. Es war eine drückend schwüle Nacht, die für den nächsten Tag noch größere Hitze erwarten ließ. Die beiden Männer, die am Fuß der Leiter auf sie warteten, waren keine Asiaten, und sie sah, daß Farrell ihre Gesichter eingehend musterte. Mrs. Pollifax hielt die Männer für Griechen, denn sie erinnerten sie an Miß Hartshornes Diapositive über eine Griechenlandreise. Mrs.
Pollifax fand, daß ihre Haut eine gewisse Ähnlichkeit mit jener von Oliven hatte – feucht, prall und glatt. Sie sah, daß Farrell von den Männern zu den Bergen hinter dem Flugzeug und dann nochmals zu den Sternen am Himmel sah.
Aufgeregt sagte sie: »Das ist nicht Kuba, wie?«
Er schüttelte den Kopf.
»Haben Sie irgendeine Ahnung, wo wir hier sein könnten?«
Seine Augen verengten sich, und er sagte finster: »Wenn mein Verdacht stimmt, und ich kann nur hoffen, daß ich mich täusche, dann müßte ich mich jetzt vor Ihnen verneigen und sagen: >Willkommen in Albanien!<«
»Albanien!« stieß Mrs. Pollifax hervor,
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