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kommt wie gerufen

kommt wie gerufen

Titel: kommt wie gerufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Gilman
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Händen der Geschworenen, müssen Sie wissen. Zwölf Leute sind nötig, um über die Schuld oder Unschuld eines Menschen zu entscheiden.«
    Major Vassovic sah sie groß an. »Zwölf Offiziere, wollen Sie sagen.«
    »Keine Spur. Zwölf Staatsbürger. Gewöhnliche Menschen. Arbeiter.«
    Die beiden Männer glotzten sie ungläubig an. Major Vassovic sagte: »Aber dann würde kein Mensch jemals schuldig gesprochen werden. Wer gibt ihnen Weisungen?«
    Mrs. Pollifax lächelte verzeihend. »Sie dürfen sich aufgrund der vorliegenden Beweise unbeeinflußt ihr Urteil bilden.«
    Major Vassovic sah ernstlich beunruhigt aus, Lulasch machte ein gespanntes Gesicht. »Erklären Sie mir das näher«, verlangte er.
    Mrs. Pollifax zögerte. Nicht, weil es ihr an Worten gebrach, sondern weil sie vier Pistolenmagazine im Schoß hielt. »Zuerst muß ich mir meine Jacke anziehen, ich friere«, entschied sie. Sie erhob sich und trat an den Hocker, über den sie die Jacke so gebreitet hatte, daß sie >Albanien – Land voll ursprünglicher Schönheit< verbarg. Sie schob die Patronen in die Tasche und zog sich umständlich die Jacke an. Dabei gelang es ihr, sich das Buch in die Achselhöhle zu klemmen. Ihre Tätigkeit erinnerte Major Vassovic an seinen eigenen Zustand, und er begann seine Uniformjacke zuzuknöpfen.
    »Das geht so vor sich«, sagte Mrs. Pollifax, kehrte zum Schreibtisch zurück, nahm sich Papier und Bleistift und skizzierte einen Gerichtssaal. »Hier sitzt der Richter«, verkündete sie und zog einen Kreis, »und das ist die Geschworenenbank, hier wollen wir zwölf Kreise ziehen. Sie sind ein Geschworener, ich bin einer und der Major ist der dritte.«
    »Bitte nein«, wehrte der Major erschrocken ab.
    »Doch nur auf dem Papier«, besänftigte sie ihn. »Und wir nehmen an, daß Sie, Mr. Lulasch, ein Bauer sind, ich bin eine Hausfrau und Major Vassovic verkauft in einem Laden Krawatten.«
    »Wie steht es um unsere politischen Verbindungen?« fragte Lulasch rasch.
    »Oh, das spielt gar keine Rolle.«
    »Unmöglich.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein, denn hier wird über Recht und Unrecht entschieden, und uns interessiert nichts als die Wahrheit.«
    »Aber die Geschworenen sind von Parteifunktionären ausgewählt?« sagte Lulasch.
    »Nein«, sagte Mrs. Pollifax fest. »Sie können sich völlig frei entscheiden.«
    »Zott«, rief Major Vassovic verzweifelt.
    »Aber dann ist der Richter bestellt?«
    »Ja«, sagte Mrs. Pollifax.
    »Aha!« triumphierte Lulasch.
    »Aber der Richter hat nichts mit dem Urteil zu tun«, betonte Mrs. Pollifax. »Nicht er entscheidet, ob der Angeklagte schuldig oder unschuldig ist. Für das Urteil sind die zwölf Geschworenen verantwortlich. «
    Auf der Schwelle stand General Hoong und sagte kühl: »Guten Tag, Mrs. Pollifax.«
    Mrs. Pollifax drehte sich um. Ihr war bisher noch nicht aufgefallen, wie stark der General einem frischgelegten, braunen Ei ähnelte. Die Haut lag so glatt über seinen Knochen, daß sie nicht eine einzige Lach-oder Kummerfalte entdecken konnte und sie überlegte, ob er sich das Gesicht hatte spannen lassen. »Guten Tag«, antwortete sie.
    Seine Nasenflügel bebten angeekelt. »Hier riecht es nach Alkohol. Soldat Lulasch, Major Vassovic, haben Sie getrunken?«
    »Daran bin nur ich schuld«, griff Mrs. Pollifax ein. »Man hat mir einen kleinen Spaziergang gestattet, und ich habe einen leichten Sonnenstich erlitten. Die beiden haben mir Schnaps als Medizin angeboten.«
    Sie bemerkte, daß der Blick des Generals von Lulasch zum Major wanderte, und fuhr mit entschlossener Stimme fort:
    »Ich bin froh, daß Sie hier sind, General Hoong. Ich bitte Sie um die Erlaubnis, die Kugel aus Mr. Farrells Arm entfernen zu dürfen. Haben Sie ihn heute gesehen?«
    Der General sah sie an und zog die linke Augenbraue hoch.
    Erleichtert bemerkte Mrs. Pollifax, daß sich dadurch über der Braue zwei Fältchen bildeten, ohne daß die Haut entzweiriß.
    »Es steht fest«, sagte sie in ihrer anmaßendsten Frauenvereinsstimme, »daß er stirbt, wenn man die Kugel nicht entfernt. Das würde General Perdido sehr treffen, meinen Sie nicht? Ich glaube nicht, daß er seinen Tod begrüßen würde. Absolut nicht.«
    Der Blick des Generals verweilte auf ihrem Gesicht. Genausogut hätte er einen seltenen Edelstein, einen schönen Sonnenuntergang oder den Fisch betrachten können, den er zum Abendessen verspeisen wollte.
    »Ich brauche ein Messer«, fuhr sie unerschrocken fort. »Ein Messer und kochendes Wasser, um

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